Samstag, 23. September 2017

Ich war bei Erwachsenen und sie sind auch nicht anders als wir

Manchmal habe ich das Gefühl, dass die geographische Position etwas weiter nördlich auf der Landkarte die kleinere Veränderung ist im Vergleich zum Sprung auf der Zeitachse um 10 Jahre nach oben. Denn so viel sind im Büro alle mindestens älter als ich und entsprechend bewege ich mich momentan in seltsamen, unbekannten Kreisen, voller Eigenheim, Kindergarten, Wochenend-Städtetrips und Existenzkrisen wie den ersten grauen Haaren mit 30. Erwachsene sind eine seltsame Spezies, Verantwortung haftet ihnen an und zumindest der Anschein, immer genau zu wissen was sie tun und wofür. Und doch blitzt hin und wieder der verwirrte junge Mensch hervor, und mir drängt sich der Verdacht auf dass wir am Ende doch gar nicht so unterschiedlich sind.

Gestern war eine große Marketingkonferenz in Haugesund und die After-Party sollte in unserem neu hergerichteten Partykeller stattfinden. Während also eine kleine Delegation aus dem Büro Reden schwingen und anhören durfte, war der Rest von uns in heller Aufruhr um nach einem Marathon an Vorbereitungen in dieser Woche alles endgültig startklar zu machen, auch das letzte Detail zu richten und, wie bei meinem Art Director, mal einen Umzugskarton an Papiermüll vom Schreibtisch in die Tonne zu verfrachten um einen Anschein von Ordnung zu erzeugen. Meine Aufgaben bestanden unter Anderem darin, 4 Packen Luftballons aufzublasen und deutsche Modelleisenbahn-Boote zusammenzukleben. Fragt nicht.

Wir wurden rechtzeitig fertig und warteten schließlich zusammen mit den Schnittchen und dem glucksenden Zapfhahn, der schon den ganzen Tag alle an den Rand des Wahnsinns trieb, auf um die 100 Marketingschnösel.
Und sie kamen, in Anzug und Kostüm, lauten Diskussionen, spannenden Hemden über stolzen Bäuchen, dunkelroten Lippenstiften, Frisuren wie mit dem Lineal gezogen und Uhren die von Wichtigkeit sprechen. Hach ihr Erwachsenen! Und dann wurden die Schnittchen gesnackt, nebenher das Weinglas balanciert oder das am Ende des Tages wohlverdiente Bierchen im Takt der Unterhaltung geschwungen. Ich fügte mich in dieses Bild ein und wartete darauf, dass aus den beschlippsten Leuten beschwipste Leute wurden.

Weiter ging es in unserem Keller, der übrigens wirklich schick geworden ist mit schwarzen Wänden, Bar, Bänken und Tischen aus unbehandeltem Holz, aufeinander abgestimmtes programmiertes Licht usw., wie man das als Designagentur eben so macht.
Ich hatte viele gute Unterhaltungen und mit fortschreitender Uhrzeit wurden aus den Erwachsenen normale Menschen. Auch mit meinen Kollegen konnte ich wieder sehr gut quatschen, über unseren Beruf und das Leben. In grenzenloser Neugier habe ich dann auch endlich mal Snus probiert und mir so einen kleinen Teebeutel unter die Lippe geschoben. Es fühlt sich wirklich komisch an und man hat das Gefühl eine Riesenbeule im Gesicht zu tragen die von außen jeder sehen kann. Soll wohl nicht der Fall sein. Geschmacklich war es einfach Schwarztee und geprickelt hat es tatsächlich, wie von Pfeffer oder anderen scharfen Gewürzen. Als mir ein bisschen schwindlig wurde habe ich das Ding dezent wieder entfernt und weiter ist mir nichts passiert. Zum Glück! Hatte mir doch erst vorher noch ein Kollege erzählt, dass als er es das erste Mal ausprobiert hat, sie in einer Runde zu 10. waren und es 9 von ihnen danach überhaupt nicht gut ging, dergestalt dass sie prompt über der Kloschüssel hingen. Das blieb mir erspart und ich habe mir wieder ein Mysterium des Lebens erschlossen. Snus. Nur warum man das dauerhaft macht, es genießt oder gar nicht mehr ohne kann, habe ich immer noch nicht verstanden.
Mit meinem Kollegen Ross, dem Engländer, zu dem langsam eine Ausländer-Solidarität entsteht (wir lachen beide meistens als letzte oder gar nicht über Witze, verpassen oft wichtige Sachen die für alle anderen klar sind und müssen über die Norweger einfach hin und wieder den Kopf schütteln) habe ich 50 Kronen gewettet, dass Snus schädlicher ist als Zigaretten. Muss es doch sein, wenn es überall außer in Schweden und Norwegen verboten ist? Ich habe es noch nicht rausbekommen.

Eher weil wir nicht wussten, wo sie sonst stehen sollte als aus Intention hatten wir die Tischtennisplatte im Keller und die war unter den Feiernden wirklich beliebt. Es war lustig, zuzuschauen, und noch lustiger, selbst zu spielen. Ein anderer Kollege ist so überzeugt von seinen Fähigkeiten, dass er mir sagte wenn ich ein Turnier, 3 Spiele, gegen ihn gewinnen würde, könnte ich sonstwas von ihm verlangen. Diesen gefährlichen Freifahrtschein ließ ich sofort von Ross bezeugen und bin natürlich angestachelt. Das wird ja wohl bis November nicht unmöglich sein! Gestern Abend wurde es nichts, er ist wirklich gut und schnippelt fies, aber es war knapp. Man muss sich Ziele setzen, und ich werde mir noch etwas wirklich Fieses für ihn als Strafe einfallen lassen.

So nahm mal wieder ein sehr unterhaltsamer Abend seinen Lauf, selbst mit all den Erwachsenen, die in dieser gepflegten hippen Umgebung und in den teuren Kostümen genauso albern waren wie wir Studenten bei unseren billigen WG-Partys. Nur dass ich mich um 3 Uhr morgens ziemlich lang mit einem Firmenchef über die Flüchtlingspolitik in Deutschland und allgemein unterhielt erinnerte daran, dass ich es mit einem anderen Klientel zu tun hatte.

Schlussendlich war es 4 Uhr, die letzten Leute aus dem Keller gefegt, das Licht ausgemacht und abgeschlossen. Es regnete nicht, die Luft war herrlich klar und kühl, ich fuhr mit meinem Chef auf dem Fahrrad nach Hause weil wir so ziemlich den selben Weg haben (und er immer Angst um alle). Auf der Hälfte wurde es uns zu steil und wir schoben einfach den Rest, durch die stille Stadt und gelbes Straßenlaternenlicht, und redeten über alles mögliche. Am Ende verabschiedeten wir uns mit dem für Norweger obligatorischen Dank für den Abend und mein Chef seufzte, dass er wohl bald wieder aufstehen müsse weil die Kinder früh wach werden würden. Die Erwachsenenwelt war zurück, für ihn. Ich radelte glücklich nach Hause um so lang zu schlafen wie ich wollte und heute bis zum Abend komplett ohne Verpflichtungen. Ihr Erwachsenen, macht mal euer Ding, ich werde euch nicht so bald beitreten! Aber viel vormachen könnt ihr mir auch nicht mehr.

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