Donnerstag, 3. Dezember 2015

Mein Mitbewohner Abdullah

Ich möchte euch von Abdullah erzählen. Abdullah war einer der ersten Flüchtlinge, die zu uns ins Wohnheim gezogen sind, er kommt aus Somalia. Er ist groß und dürr, sieht aus wie 17 und ist sehr sehr höflich. Immer lächelt er und fragt, wie es einem geht.
Zusammen mit seiner Frau Nasib putzt er im Haus und sorgt auch auf unserer Etage viel für Ordnung.
Deutsch lernt er langsam, aber eifrig. Neulich prangte eine riesige Deutschland-Flagge auf seiner Gürtelschnalle. Und neulich hat er mir mit einem Leuchten in den Augen erzählt, dass seine Frau ganz genau auf das Essen achtgeben muss - sie ist schwanger.
Abdullah hat Angst, heute Nacht noch abgeholt und ausgewiesen zu werden. Zurück nach Somalia geschickt zu werden, wo man ihn umbringen wird, da ist er ganz sicher.

Die Geschichte ist kaum zu glauben. Gestern war er noch beim Fotografen gewesen, um Passbilder machen zu lassen. Heute hatte er einen Termin beim Ordnungsamt. Dort hat man den Pass, den er besaß und der ihn schon viel gekostet hatte, vor seinen Augen zerrissen. Und dann gesagt, dass er sich jetzt auf seine Ausreise vorbereiten könne.
Es gab keinen Übersetzer. Er war nur mit seiner Frau da. Er wurde nicht über seine Rechte aufgeklärt, es wurde gar nichts erklärt. Er hatte vorher einen Haufen Formulare ausgefüllt, die ihn glauben ließe, er würde bald Asyl gewährt bekommen. So wie Nasib, mit der er gesetzlich verheiratet ist und, wegen der Schwangerschaft, Asyl hat, wenigstens für einige Monate.

Nasib hat heute den ganzen Tag geweint, sie hat Angst. Es kursieren Gerüchte, und ich weiß nicht, wieviel daran ist, dass die Leute tatsächlich nachts mit Lieferwägen geholt und dann abgeschoben werden. Ich habe gerade eben erst erfahren, was los ist, war vorher noch in der Küche. Abdullah war auch da - und fragte mich mit einem Lächlen, wie es mir geht.
In unserem Haus hat man beschlossen, Abdullah zu verstecken. In diesem Moment wird unten das Klingelschild abmontiert. Ein Rechtsanwalt wird gesucht. Es wird Einspruch erhoben werden. Wer weiß, wie dieser Kampf ausgehen wird.

Könnt ihr das glauben? Sowas macht Deutschland? Ich bin so erschüttert und fassungslos. Plötzlich, als diese ganze Flüchtlingsdebatte so real, persönlich, nah wird, wird mir klar, was für Schicksale sich hinter dem verbergen über das jeder spricht und wovon kaum jemand wirklich Ahnung zu haben scheint. Wie ist es möglich, dass wir in unserem Wohlstand den Menschen Hilfe verweigern, die unter Aufwendung ihres Lebens und all ihrer finanziellen Mittel zu uns gekommen sind, weil sie glauben es hier besser zu haben? Wie ist das vereinbar mit der christlichen Kultur, die wir dadurch schützen wollen? Warum haben wir das Gefühl, dass uns irgendetwas weggenommen wird?

Ich bete für diese kleine Familie, und vielleicht könnt ihr das auch machen.