Sonntag, 24. November 2013

S-Bahn

Kennt ihr das, wenn sich urplötzlich eine seltsame Trübseligkeit über euch legt? Bei mir war das gerade so, und ich weiß gar nicht warum ich mir plötzlich so einsam und verlassen vorkam. Nachdem ich in aller Traurigkeit meine Abendbrot gegessen habe, musste ich noch den Müll runterbringen.
Als ich unten im Hinterhof war, empfing mich so eine herrlich kühle, frische Luft, es roch nach Weihnachten! Und außerdem probt gerade ein Chor da unten. Das hörte sich so lustig an, dass es mir jetzt fast schon wieder gut geht.

Wovon ich aber eigentlich schreiben wollte, ist die Berliner S-Bahn. Seit zweieinhalb Monaten fahre ich jetzt beinahe jeden Tag ein mehr oder weniger langes Stück mit der S-Bahn und ständig beobachte ich Szenen, die mir unglaublich poetisch, vielsagend, traurig oder einfach skuril vorkommen. Ich glaube, man könnte ein Jahr lang S-Bahn fahren und ein echt dickes Buch darüber schreiben. In der S-Bahn erhält man Einblicke in den Alltag anderer Menschen, bekommt manchmal schneller als gut wäre mit, wie die Beziehungen untereinander sind, kann vielleicht für 7 Minuten unbemerkt teilhaben an ihrem Leben. Das Schöne an diesen anonymen Figuren ist: was man nicht weiß, kann man sich dazudenken. Und auch wenn ich jeden Tag genervt bin von der Fahrt, den Verspätungen, der "nutzlosen" Zeit die meinen Feierabend unnötig weit in die Ferne rückt... S-Bahn fahren ist schon ein echtes Erlebnis.

Traurig, schockierend, und gleichzeitig mit einem angenenhmen Gruseln zu beobachten sind die jungen Mütter. Ich meine die sehr jungen. Die, die noch nichtmal aus der Phase der Make-Up-Experimente heraus sind. Meistens übergewichtig, nicht die schönsten Klamotten. Immer, und zwar ausnahmslos immer, sind sie allein unterwegs, oder höchstens noch mit einer Mutter, deren faltige Gesichtshaut Bände über die unzähligen Stangen Zigaretten spricht, die sie in ihrem Leben schon konsumiert hat. Asozial. Bloß gut, dass ich nicht so bin. Wie kann man auch so blöd sein...
Meistens haben diese Mütter ihre Kevins oder Melanies nicht im Griff. Die zappeln und krähen und sind auch mit viel Futter nicht zufrieden zu stellen.
Und wisst ihr was? Diese jungen Mütter strahlen so oft eine unglaubliche Zufriedenheit aus. Sogar Glück. Selbstbewusst streichen sie sich die Haare aus dem Gesicht, bevor sie sich wieder voller Hingabe ihrem Baby widmen, das in einem Kinderwagen liegt, den die Mutter anstelle der schicken Klamotten gekauft hat. Sie sehen nur diesen kleinen Wurm, und sind völlig immun gegen alle Blicke, die ihnen zugeworfen werden. Ist die Oma mit dabei, sieht man den Stolz trotz allem Kummer förmlich aus ihren Augen springen. Diese Menschen haben ihren Platz im Leben gefunden, und es ist scheißegal was jemand wie ich darüber denkt, wer sich über das Babygeschrei aufregt, wieviel Abneigung, Ablehnung und Verachtung ihnen von wildfremden Leuten entgegentritt, von denen jeder meint, die Geschichte "solcher Leute" zu kennen.

Vor ein paar Wochen saß ich auf dem Weg nach Hause wieder in einer übervollen S-Bahn. Mir gegenüber saß ein kleiner, türkischer Junge. Eigentlich hatte ich gar keine gute Laune, aber ich grinste ihn an. Der Rest seiner Familie stand etwas abseits, und es kam mir vor als sei es ihm peinlich, wie laut sie alle waren und hätte sich etwas abgesondert.
Vorsichtig öffnete er seine Schulmappe, und holte ein kleines Segelboot, das aus einer Nussschale gebaut war, heraus. Er drehte und wendete es und sah mich verstohlen an. Ich lächelte wieder, und begutachtete es genau.
Er packte es wieder weg, und kramte etwas anderes hervor. Ich weiß nicht mehr, was es war, ein Bild vielleicht. Als ich erneut meine Anerkennung der Bastelarbeit durch ein Lächeln deutlich machte, lachte er zum ersten Mal zurück. Im Laufe von drei Stationen zeigte er mir noch einige andere Sachen, darunter seinen kleinen Bruder. Alles ganz nebenbei, wie unbeabsichtigt, ohne ein Wort. Irgendwann stiegen sie dann aus. Ein nettes Feierabendgespräch.

"Meine" Strecke von zu Hause zur Arbeit kenne ich mitterlweile beinahe in- und auswendig. Und trotzdem entdeckt man doch immer mal wieder ein neues Detail, wenn man nur genau hinschaut. In der zweiten Woche erst bemerkte ich zum Beispiel, dass man eine ganze Weile lang ständig den Fernsehturm hinter den Häuserzeilen herausragen sieht, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. Es ist ein kurzer Glücksmoment, wenn ich plötzlich den Fernsehturm sehe, weil ich dann wieder einmal merke, dass ich wirklich in Berlin wohne.
Immer mal wieder sieht man auch plötzlich ein neues Grafitti. Extrem detailgetreu, extrem bunt, oder an extrem unerreichbaren Stellen, die meisten sind mehr als nur eine vandalöse Schmiererei.
In den S-Bahnstationen ist es ein netter Zeitvertreib, die großen Werbeplakate etwas genauer zu betrachten. Warum spricht das eine an, und nervt das andere nur? Welche Farben, wieviele Schriften werden verwendet und wie werden die Elemente angeordnet? Was hätte man besser machen können....?
Na gut, das mag nicht jedem Spaß machen.
Spaßig ist auf jeden Fall der Garten am Treptower Park, der mir im Hellen durch seinen großen, blauen Pool auffällt, durch den beinahe jeden Morgen eine nackte Oma schwimmt, oder im Dunklen durch die hoffnungslos übertriebene Weihnachtsbeleuchtung, die vor keinem Baum und keinem Busch Halt gemacht hat. Immer wieder einen Schmunzler wert, diese Strecke.

Gerade erst diese Woche bot sich mir in meiner U-Bahnstation ein wirklich verstörendes Bild. Es war kurz nach neun Uhr und mitten im Berufstrubel. Auf einer der unbequemen harten Bänke lag ein Obdachloser ausgestreckt. Unter der Bank plätscherte es. Eine große Lache bildete sich unter ihm, ein fieses Rinnsal lief quer durch die Halle unbeeindruckt auf das Gleisbett zu. Der Mann schien nichts zu bemerken, er schlief tief und fest, endlich für eine Zeitlang ungestört von Sicherheitsbeamten.
Die Menschen bremsten kurz ihre betriebsame Hast ab und starrten unangenehm berührt, angeekelt, ungläubig auf diesen schmutzigen Mann, der lediglich eine Schachtel Zigaretten fest umklammert hielt, sonst nichts hatte, auf dieser Bank lag und kurzzeitig nicht mehr fror, nicht mehr hungerte, einfach nur schlief. Und sich dabei extrem einpinkelte.
Es war eine sehr bedrückte Atmosphäre, bis endlich die U-Bahn kam und man dieser Situation entrinnen konnte. Brutal deutlich wurde einem gemacht, was Armut und Obdachlosigkeit bedeutet. Nicht nur eine abgeranzte Erscheinung. Nicht nur das Betteln. Der Verlust jeglicher Würde, wenn alle Menschen dabei zugucken können, wie man sich einnässt und das selbst nicht einmal bemerkt.
Bloß schnell weg, zur Arbeit.

Mir fällt wirklich noch so Vieles ein. Die "Musiker", die manchmal wirklich gut, manchmal witzig, meistens aber einfach nur extrem nervtötend sind, so wie die Frau die jeden Morgen an meiner Station steht und genau das selbe Lied auf dem Akkordeon spielt.
Die Ansagen der Fahrer, die von unendlich gelangweilt über amateurhaft freundlich und ausführlich bis hin zu ernsthaft verzweifelt klingen.
Ein eigenes Kapitel sind auch die Fahrstühle der S-Bahn wert, die einen mit gruseligen Geräuschen laut darüber auszulachen scheinen, dass man ihnen wieder einmal vertraut und sich in die Blechkästen begibt.
Oder das Gepäck mancher Passagiere. Manche scheinen mit der S-Bahn umzuziehen, und andere haben so ein schräges Sammelsurium an Gegenständen bei sich, das selbst mir die Fantasie fehlt um da einen Zusammenhang herzustellen.

Am 9.12. mit Ablauf meiner jetzigen Monatskarte enden meine S-Bahnerfahrungen erst einmal vorläufig. Ich bezweifle stark, dass man auf dem Fahrrad genauso tolle Geschichten erlebt. Aber wer weiß... wenn, dann werde ich euch berichten!

Mittwoch, 6. November 2013

Danke

Danke, dass du mich sooo gut versorgst.
Danke, dass du mich neulich um 5 Uhr 30 geweckt hast, damit ich mir auf eine Stunde später noch den Wecker stellen konnte und nicht einen wichtigen Termin auf der Arbeit verpasst habe.
Danke für einen echt schönen Urlaub, der so viel Spaß gemacht hat.
Danke für meine coolen Mitbewohner.
Danke für Tomaten.
Danke für das Zuhausegefühl, das ich bekomme, wenn ich aus der U-Bahnstation Herrmannplatz die Treppe heraufsteige.
Danke, dass ich morgen ein bisschen länger schlafen darf.
Danke, dass Wäsche waschen so einfach ist.
Danke, dass bald Weihnachten ist. Endlich.
Danke für meine neue grüne Bratpfanne.
Danke, dass du mir jeden Tag neue Ideen gibst.
Danke für die vielen Orte, an denen ich willkommen bin.
Danke für Flohmärkte, und die Warschauer Straße.
Danke für Heizung, Pullover, dicke Jacken und Socken.
Danke für Familie.
Danke für meinen Kühlschrank.
Danke für S- und U-Bahnen.
Danke für Wochenenden.
Danke für Kreuzworträtsel.
Danke dass es meinen Teddy immer noch gibt.
Danke für meine Matratze, die im Gegensatz zu den meisten hier dick und fest ist.
Danke für Milch.
Danke für Smartphones.