Samstag, 29. Juni 2019

Skandinavischer Sommer

Bis jetzt ist es mir noch nicht eingefallen, diesen Zustand als Sommer zu bezeichnen. Dafür hat es zu viel geregnet und war zu kalt. Ich war ziemlich neidisch auf die, die in Deutschland seit Wochen am stöhnen sind. Dass die Luft zum schneiden ist, jede Bewegung anstrengt und die kalte(n) Dusche(n) am Tag die einzigen auszuhaltenden Minuten sind, gehört zum Jahr für mich einfach dazu. Bis jetzt habe ich noch darauf gewartet.

Gestern aber bin ich im Oslofjord (also im Meer!) geschwommen und saß hinterher noch lange in Badeklamotten mit meinen Kollegen zusammen, picknickend und dummes Zeug erzählend. Das war doch schon sehr Sommer! Und herrlich. Einfach nach Feierabend auf eins der Boote zu springen, die genauso zum öffentlichen Nahverkehr dazu gehören wie Bus und Straßenbahn, 10 Minuten zu fahren und dann auf einer wunderschönen, grünen Insel wieder an Land zu gehen, ein ruhiges Plätzchen zu finden und dort bis mindestens Sonnenuntergang zu verweilen – das hatte ich von Norwegen nicht unbedingt erwartet. Und deswegen spreche ich jetzt doch von Sommer.




Die Jahreszeit äußert sich außerdem in einer sehr entspannten Grundstimmung, bzw. haufenweise leeren Schreibtischen im Büro. Die meisten hauen ab, für mindestens drei Wochen, auf die hytta oder in fernen Länder. Wer aus irgendeinem dummen Grund doch zur Arbeit geht, muss sich zu beschäftigen wissen, ohne Kollegen. (Ich habe allerdings Pech und trotzdem viel zu tun.)

Es ist hell. Hell, hell, hell. Fast jeden Morgen wache ich irgendwann zwischen drei und vier Uhr auf in dem Glauben, verschlafen zu haben. Und drehe mich dann vergnügt nochmal für drei weitere Stunden um. Trotzdem, oder vielleicht auch deshalb, bin ich jeden Tag extrem müde. Vielleicht liegt es auch an der Arbeit oder zu vielem Nachdenken. Jedenfalls schleppe ich mich durch die meisten Wochentage gerade so durch.

Wie man es aus Berlin auch kennt, kommen die Leute sobald die Sonne herauskommt aus ihren Löchern gekrochen und versammeln sich in Parks und auf jedem Stücken Grün das sie finden. Man staunt, wie viele Einwohner die Stadt plötzlich hat! Jetzt wird sie sich allerdings wieder leeren, da ja die meisten verreisen.


Ich gehe jedes Wochenende mindestens einmal wandern und mir quillt jedes Mal das Herz über. Ich liebe es, durch Wälder, über Flüsse, Wiesen und kleine Berge zu gehen, Vögel zu hören, Luft auf der Haut zu spüren die nicht schneidet, Gräser und Blumen zu riechen und bei alldem kaum mal jemanden zu treffen. Dass man ab und zu doch jemanden sieht, ist allerdings nicht zu vermeiden, denn die Norweger sind mindestens genauso naturverliebt und bewegungssüchtig wie ich. Mittlerweile wundere ich mich überhaupt nicht mehr, wenn ich eine halbe Stunde über Baumstämme und Felswände hoch klettere, an schmalen Graten entlangbalanciere und über tausend Wurzeln springe, um am obersten Punkt der Route zwei Norweger mit ihren Fahrrädern bei einer vergnügten Futterpause zu treffen. Oder mich einen strammen Marsch von der Zivilisation zu entfernen, beinahe schon abenteuerlich auf selten beschrittenen Wegen zu fühlen und dann doch einem uralten zarten Mütterchen in Wollcardigan mit Hund zu begegnen. Die Leute hier sind in jedem Alter fit, und jeder stiefelt in seinem Tempo oder mit seinem Fortbewegungsmittel der Wahl kilometerweit durch die "Marka", Oslos grüne Umgebung. Mir graut jetzt schon vor den Monaten, in denen all diese Herrlichkeit wieder unter Schnee begraben ist (im Norden Norwegen gab es heute tatsächlich 12cm Neuschnee, zur Verblüffung aller Beteiligten).

Hier war ich auch schwimmen 
Hier nicht.




Es war Midsommar, letzte Woche, und das geht natürlich nicht ohne Blumenkranz, erst recht wenn man schwedische Kollegen hat. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben unter Zeitdruck einen dieser Kränze zusammengestopft und rabiat in Form gebracht, für den Mangel an Kompetenz ist er doch erstaunlich erkennbar geworden. Und dann habe ich mit meinen Kollegen die kürzeste Nacht des Jahres gefeiert. Jetzt versuche ich ihn zu trocken (also hänge ihn einfach an den Fenstergriff und denke nicht mehr dran).



So viel zum hiesigen Sommer. Ich muss euch auch vom 17. Mai, dem Nationalfeiertag berichten, das werde ich noch machen! Sobald sich das nächste Mal wieder ein bisschen Energie angesammelt hat.