Freitag, 5. April 2019

Neuer Standort

Meine abendliche Routine besteht aus Aufpusten.
Ich google Geschirrspülprogramme um zu sehen, welches am ökologischsten ist und welches schnell geht.
Ich kann völlig legitim meine Kleidung auf den Boden schmeißen. 
Ich stelle fest, dass neu gekaufte Geschirr- und Handtücher nicht trocknen, und sich ihr Zweck damit auf ein Minimum reduziert.
Wenn ich frische Luft brauche, habe ich die Wahl zwischen 14 zu öffnenden Fenstern.
Ich werde zum Profi für Montageanleitungen.
Morgens liege ich mit steifem Rücken und lausche einem verrückten Konzert von Vogelgezwitscher, ansonsten ist es einfach still. 

Ich bin umgezogen. Das ist aufregend, anstrengend, furchteinflößend und herrlich. Wie so oft lief das meiste nicht wie geplant. Mein Hab und Gut bekomme ich erst in zwei Wochen, solange ist campen und improvisieren angesagt. Das ist auf jeden Fall eine Erfahrung. Zunächst einmal: es geht, ohne alles. Ohne Kleiderschrank, Bett, Stuhl, Tisch. Aber herausfordernd. Jetzt, zum Ende von Woche 1, meldet sich mein Rücken morgens schon sehr deutlich. Ich schlafe auf einer Camping-Matratze, exakt 52 cm breit. Die und Bettzeug konnte ich mir von meinen Kollegen ausleihen. Und das ist schön! Ich mag es, wenn man Sachen teilt, um zu vermeiden Dinge zu kaufen die man innerhalb kürzester Zeit nicht mehr braucht und dann wegschmeißen würde. Wenn man sich gegenseitig vertraut und unterstützt, wenn es nötig ist. Dass mehrere Leute sich den Umstand gemacht haben und mehr oder weniger dicke Tüten mit auf die Arbeit geschleppt haben, damit ich nicht auf dem Boden schlafe. 

Abendessen, wenig stilvoll
Zusammengeliehenes Matratzenlager

Das Schöne ist, dass wenn man so reduziert lebt, jede Errungenschaft ein Fest ist. Am Anfang hatte ich wirklich nur die olle Luftmatratze, auf der ich nicht nur geschlafen, sondern auch gelesen, gestrickt und alles getan habe. Setze dich mal einen Abend an eine Wand, das ist überhaupt nicht angenehm! Dann habe ich mir einen wunderschönen gebrauchten Retro-Stuhl besorgt. Und jetzt genieße ich es ungemein, auf einem Stuhl sitzen zu können! Zumal dieses Sitzmöbel wirklich eine optische Wonne ist, und ich bekam ihn zu allem Überfluss auch noch geschenkt, nachdem die Verkäuferin mich vergessen hatte, ich eine halbe Stunde in der Kälte wartete und ihr das dann so Leid tat dass sie kein Geld mehr haben wollte. 

Ein Prachstück, oder? Und ich werde ihn neu bepolstern. Kann ja nicht so schwierig sein. 
Weitere Errungenschaften. Sachen selbst zusammenzubauen, zu montieren, zu verkabeln, in Betrieb zu nehmen, zum Beispiel eine Lampe, eine Klopapierrollenhalterung und Internet. Stolz ist gar kein Ausdruck für so viel ungeahnte Selbstständigkeit!


Die Fußbodenheizung, die ich im Bad habe. In Norwegen Standard, aber ich freue mich jeden Morgen aus dem kalten Zimmer auf warme Fliesen zu tappen.

Eine Spülmaschine. 

Die neue Gegend, mit einem Fluss und einer Truppe Singvögeln auf der einen Seite, viele besondere kleine Läden und Cafés auf der anderen Seite. 

Der Arbeitsweg, der es mir erlaubt, mich morgens eine halbe Stunde zu sammeln und es außerdem leicht macht, die von der Fitbit täglich geforderten 10.000 Schritte zu sammeln. 

 
Wenn man sich auf dem Weg zur Arbeit wie im Urlaub fühlt. (Im sehr spießigen Urlaub)
Und so viel mehr. Ja, es ist chaotisch und ungemütlich zu Hause, und manchmal fühle ich mich überhaupt nicht wohl. Vor allem wenn kurz nach zehn Uhr abends ein Alarm unter dem Spülbecken losgeht und ich partout nicht herausfinde, woher das kommt. Erst jede Sicherung einzeln herausnehme und schließlich den kompletten Strom abschalte, bis es aufhört. Und die Nacht über ultra-wachsam bin, auf jedes Geräusch höre in der Angst, einen Wassermelder o.Ä. abgeschaltet zu haben und gerade einen Riesenschaden zu verursachen. Den ich selbst bezahlen muss, weil ich ohne Bank ID noch keine Hausratversicherung abschließen konnte. 

Aber es gibt auch so viele schöne Momente und Entdeckungen. Wenn es erst eingerichtet, ordentlich und wohnlich ist ... dann werde ich mich sicher wohlfühlen. Ich bin dankbar! Grüße aus dem Hottentotten-Lager.