Donnerstag, 24. Januar 2013

Dankbarkeit

Vor ein paar Tagen hatte ich eine etwas seltsame Unterhaltung.
Als wir beim Perlendrehen eine Pause gemacht haben, habe ich eine Whatsapp-Nachricht an Mama geschrieben. Als mich ein Mädchen gefragt hat, mit wem ich schreibe, habe ich ihr es gesagt und sie fragte: "Is your mother married?" Ich habe gesagt: "Yes." Und dann fragte sie: "And your father?" Ich habe sie verständnislos angesehen. "Is your father married?" Beim dritten Mal habe ich dann verstanden, was sie gefragt hat und ich konnte nochmal bejahen. Schlussendlich habe ich dann auch bejaht, dass nicht nur meine Mutter, und sogar mein Vater, sondern beide zu allem Überfluss auch noch miteinander verheiratet sind!
Das war für mich so selbstverständlich. Im Nachhinein ist mir dann aufgegangen, dass es das vielleicht nicht ist.

Gerade hier in Haiti scheinen die Familienverhältnisse oft sehr zerrüttet zu sein. Kinder, die zu viel sind und von der Sache her als Haussklaven an andere Familien gegeben werden. Kinder, die ihre Eltern beim Erdbeben verloren haben und mit weniger Rechten als der Rest der Familie bei ihrer Verwandtschaft unterkommen. Kinder ohne Mutter, die weggegeben werden, weil der Vater neu heiratet und sie nicht als Last mit in die Ehe nehmen will.

Was für ein Vorrecht ist es, in einer liebevollen, intakten, gläubigen Familie zu leben. Mit einer großartigen Verwandtschaft. Im Wohlstand, in Deutschland, wo man so viele Möglichkeiten hat.
Ich überlege mir immer, was wäre, wenn ich hier geboren worden wäre. Ich hätte vielleicht eine mittelmäßige Schulausbildung gesprochen, spräche außer meiner Muttersprache ein bisschen Englisch. Würde die Ausbildungsstelle nehmen, die sich mir bietet. Und vielleicht Krankenschwester, oder irgendsoetwas werden.
Da sogar ein Bleistift hier ein hohes Gut ist, wäre ich wohl als kreativer Mensch nicht sehr weit gekommen.

Wie viel anders ist es in Deutschland! Wo ich schon so früh meine eigene Kamera hatte und so viel ausprobieren und lernen durfte. Dabei einen Opa, der sich Zeit für mich genommen hat, mir gezeigt hat wie man mit einer Kamera umgeht, und wie mit Photoshop, meine per Mail verschickten Bilder kommentiert und meine Fragen beantwortet hat.
Wo mir in der Schule nicht nur unglaublich viel zu vergessendes Fachwissen beigebracht wurde, sondern vor allem ein kritischer Mensch aus mir gemacht wurde, der Sachen hinterfragt und manches nicht so hinnehmen will, wie es ist.
Wo ich nach der Schule Zeit hatte, um meinen Hobbys nachzugehen. Mich meiner Kamera zu widmen, oder mich stundenlang in Büchern zu verlieren und damit Fantasie zu entwickeln, lernen, zu träumen.
Wo ich jeden Abend satt in meinem eigenen Zimmer in ein bequemes Bett fallen konnte und bestimmt auch wieder können werde.

Das Alles ist ja nur ein Bruchteil der Privilege, die man hier in Deutschland, und die ich als Jule habe.

Und trotzdem sieht mein Gebet jeden Abend so aus: ein paar Mal pflichtbewusstes "Danke", und dann geht es los, dann wird der Katalog an Wünschen runtergerattert. Wünsche für andere Menschen, ok. Aber auch so viele Wünsche für mich, für meine Zukünfte, Wünsche oder fast Forderungen.

Es ist beschämend. Deshalb habe ich gestern Abend versucht, nur zu danken und für andere Menschen zu bitten. Es war sehr schwer. Vor allem, nicht noch ein klitzekleines Wunschgebet hinterher zuschicken...

Aber Gott weiß, was gut für mich ist, und was ich brauche. Ich muss ihn nicht jeden Tag daran erinnern, was meiner Meinung nach jetzt angebracht wäre.
Viel sinnvoller ist doch danken, um sich selbst bewusst zu machen, wieviele Geschenke man jeden Tag bekommt. Und um damit seinen Blickwinkel zu verändern. Weg von den eigenen Vorstellungen und dem, von dem man glaubt es fehle noch. Hin zu dem Überfluss, den man genießen darf.

Schließlich noch ein letzter Gedanke: auch die Menschen hier sind glücklich, und holen das Beste aus ihrem Leben heraus. Was für eine Aufforderung an uns Deutsche, und vor allem an mich!

Dienstag, 15. Januar 2013

Wochenende

Es ist das Ende meiner ersten Woche hier, bzw. der Anfang der zweiten. Es fühlt sich an, als sei ich schon Monate hier. Und ich fühle mich wohl! Ich konnte schon einige Fotos für Chemin d'éspoir machen, von den wunderschönen Ketten die hier hergestellt werden und vom Unterricht. 
Von "draußen" konnte ich bei einer Autofahrt einen ganz guten Schuss machen.




Esperanzia





Diesen sollen natürlich noch viele folgen...

An das Wetter habe ich mich noch nicht gewöhnt, in dem Sinne, dass ich mich immer noch jeden Tag darüber freue, nicht frieren zu müssen, ohne Jacke rausgehen zu können, keine langen Hosen zu brauchen... Meistens sind so um die 25 Grad, also sehr angenehm, es gibt wenn denn nur wenige, weiße Wölkchen am Himmel und es weht immer eine leichte, erfrischende Brise. Nein, es liegt mir fern euch neidisch zu machen!!

Dass haitianische Essen ist wirklich nur zu empfehlen. Ich habe mittlerweile gebratene Bananen, Ziegenfleisch, eine Frucht deren Namen ich jetzt vergessen habe, Spiegelei à la Haiti, natürlich Reis und Bohnen, Haitis leckeres Brot und Zuckerrohr gegessen. Es schmeckt wirklich alles. Besonders angetan bin ich vom hiesigen Maisbrei. Den gab es heute auch wieder... Wesna hat ihn gekocht. "I cook corn. It's your favourite food?" Oh ja...

Wesna ist eine von den wirklich ganz lieben Schülerinnen hier. Wir verstehen uns sprachtechnisch zwar noch nicht gut, aber immer besser. Mit einem Mix aus Französisch, Englisch, Händen und Füßen kommt man meistens doch darauf, was der andere meint.
Was ich wirklich süß finde, ist, dass ich ständig nach meiner Familie gefragt werde. Ob ich Fotos habe, ob es Mama gut geht, usw.

Esperanzia, eine Schülerin die unter der Woche mit bei uns im Haus wohnt, hat mir gestern beigebracht eine Mahlzeit zu kochen (deren Namen ich leider auch vergessen habe, aber es sind Teigstückchen, die frittiert werden), und das mit viel Geduld und wenig Worten. Ich mag sie sehr.

Jeden Abend bevor ich einschlafe sage ich Danke zu Gott, dass ich hier sein darf. Es ist echt so gut, ich habe keine Verpflichtungen in dem Sinn (wie z.B. zu Hause, Bewerbungen schreiben, oder sowas), schaue trotzdem den Tag über, ob ich mich ein bisschen nützlich machen kann und manchmal gelingt mir das auch. Und das ist schön, wenn man helfen kann. Und das in einer Umgebung, die so neu und fremd ist, und spannend. Und voller netter Leute. Da ist es auch egal, dass es manche Sachen nicht gibt, oder man von Mücken ab und zu mal aufgefressen wird.

Bleibt nur noch eine Frage: werde ich braun? Ich beobachte es genau. Mal sehn. Haut, zick nicht rum!

Dienstag, 8. Januar 2013

Es war wirklich alles nicht so schlimm

... dass dieses Fazit kommen wird, war ja eigentlich schon klar. Aber tatsächlich, ich habe mir mal wieder viel zu viel Stress gemacht. Auch wenn ich heute letztendlich einen Tag zu spät in Haiti angekommen bin, es stressig, frustrierend, nervtötend und aufregend war... Es war alles nicht so schlimm.

Ich bin ja kaum in das erste Flugzeug gestiegen, als die, ich sage nicht Probleme, unerwarteten Abenteuer begannen. Man soll mit 2 Stunden Verspätung rechnen wegen Nebel in London, schlecht wenn man nur 1:40 Stunden zum Umsteigen hat. Letztendlich waren es doch keine 2 Stunden, aber ich habe meinen Flieger trotzdem nicht bekommen.
Die kommende Odyssee quer über den Flughafen, weil mich jeder woanders hingeschickt hat und ich sowieso immer nur die Hälfte verstanden habe (jajaja, 8 Jahre Englisch. In der Praxis sieht alles nochmal anders aus!). Ich bin also rumgerannt wie ein angeschossenes Wildschwein, bis ich endlich vor der Masse an Menschen stand, die alle genau das gleiche im Sinn hatten wie ich. Rebooking, einen neuen Flug bekommen. Es war ein ziemliches Chaos am Flughafen.

Hätte ich gewusst, dass ich in dieser Schlange fast 4 Stunden stehe, hätte ich vielleicht ähnlich wie einer der Mitleidenden einen wütenden Schrei ausgestoßen. Aber ich wusste es nicht, und so stand ich geduldig und ruhig an meinem Platz und freute mich auf einen Fortschritt in der Schlange von etwa 1m pro halbe Stunde.

Irgendwann kam Personal, das sonst gerne eine halbe Stunde mit einem Schwätzchen verbrachte, während wir uns die Beine in den Bauch gestanden haben, und hat Wasser verteilt. Als sich dann die ersten Leute Klappstühle in die Schlange holten, stellte man sich endgültig auf einen längeren Aufenthalt ein.

Dann gingen die Gerüchte umher. An diesem Tag würde gar kein Flug mehr fliegen, nach Amerika sei sogar der nächste Tag komplett ausgebucht...

Für mich lief es am Schluss auf die goldene Mitte raus. Ich habe an dem Tag wirklich kein Flugzeug mehr bestiegen, dafür ein Shuttle was mich zu einem sehr noblen Hotel und einem herrlichen Abendessen, sowie mindestens noch dopppelt so herrlichem Frühstück transportiert hat. Und am nächsten Tag habe ich meine Reise eben fortgesetzt.

Diese 9 einviertel Stunden Flug nach Miami waren auch strapazös. Vor allem weil neben mir ein Portugiese mindestens 80% der Zeit geschlafen hat und ich irgendwann extrem dringend aufs Klo musste. Was solls, auch das habe ich überlebt. Genauso wie die Nacht am Flughafen in Miami, die auch noch 6 Stunden länger war durch die Zeitumstellung. Ich bin 18 Uhr dort angekommen, bei mir war aber schon 24 Uhr. Mein Flug ging heute morgen um 7:20. Bis dahin habe ich eine dreiviertel Stunde in einem Sitz geschlafen, eine Stunde auf dem Boden und den Rest der Zeit mit Sudokus und Augen offen halten rumgebracht. Immerhin wurde mir nichts geklaut!

Auch die ganzen Sicherheitschecks und immigration und was es noch alles zu tun gibt waren gar nicht wirklich schlimm. Wahrscheinlich traut man mir sowieso nichts Böses zu und hat mich extra schnell durchgewunken.... ;)
Durchaus angenehm ist übrigens, wenn man in einer Riesenschlange voller englischsprechender Leute steht und plötzlich neben sich zwei Jungs berlinern hört. Das sind Momente voller Trost...

Naja, und der Flug heute war dann wirklich nur noch ein Klacks, die 2 Stunden gingen im Nu rum (wahrscheinlich auch weil ich sie größtenteils verpennt habe).
Wir sind dann über ein Gebirge nach Port-au-Prince geflogen und das war irgendwie cool. So eine wunderschöne Landschaft! Dann bin ich angekommen und plötzlich macht man die Erfahrung wie es ist, mit seiner Hautfarbe in der Minderheit zu sein.
Für mich ein absolutes Highlight war die Fahrt vom Flughafen zu meinem neuen Zuhause. Alles ist einfach genauso, wie man das immer erzählt bekommt und auf Bildern sieht und in Videos usw.... Es gibt keine Regeln, die Autos sind bunt angemalt und vollgestopft bis an den Rand, die Leute tragen ihr Zeug auf dem Kopf... Es war so krass für mich. Da habe ich wirklich gemerkt, dass ich jetzt da bin, in einer völlig neuen Welt.

Den "Hitzschlag" habe ich mir wesentlich schlimmer vorgestellt. Auch mit Jacke und Jeans habe ich es gut ausgehalten, wobei ne Leinenhose und T-Shirt natürlich angenehmer sind. Außerdem weht ein schöner Wind. Das Wiedersehen mit den ganzen Sachen in meinem Koffer war auch sehr schön. Und nach 3 Tagen mal wieder frische Klamotten anziehen zu können. Ansonsten habe ich hier ein cooles Zimmer, das Essen hat geschmeckt, ich habe einen super Laptop mit Internetzugang und Photoshop Elements.... Was kann man sich mehr wünschen?! Ich freue mich wie verrückt, hier zu sein.