Freitag, 28. Dezember 2018

Zwischen

Zwischen den Jahren. Zwischen Umzugskartons. Zwischen zwei Hauptstädten. Zwischen Wehmut und Vorfreude. Das ist anstrengend auf allen Ebenen! Aber gleichzeitig erlebe ich ein großes Wunder: Gott schenkt mir so viel Kraft und Ruhe, dass ich völlig verblüfft bin.

Vorgezogenes Heimweh, Schwermut über den Abschied, Trauer um das was war und vielleicht nicht wieder wird, hatte ich erst an zwei Tagen in den letzten drei Monaten. Da ich mich mittlerweile kenne wäre ich stark davon ausgegangen, dass es jede einzelne Minute so sein würde. Abschiede kann ich überhaupt nicht, Sorgen machen umso besser. Letztes Jahr vor Haugesund ging es mir schlecht, jedes Mal bevor ich nach Haiti gereist bin, vor meinem Umzug nach Berlin sowieso ... 
Aber jetzt nicht. Ich freue mich auf das neue Leben, neue Freunde, neue Möglichkeiten. Natürlich bin ich manchmal auch ein bisschen traurig, so viele Menschen die mich wirklich lieben hinter mir zu lassen und an einen Ort zu gehen wo ich jetzt erstmal allen noch ziemlich egal bin. Aber dafür freue ich mich auch jetzt schon auf die vielen Wiedersehen und Besuche.

Gott denkt an alles, nicht nur an die äußeren Umstände sondern auch die inneren. Allein würde ich im Leben nicht in ein fremdes Land ziehen (können), aber mit seiner Hilfe muss ich nur Schritt für Schritt gehen und darf komplett vertrauen dass er den Weg kennt, Proviant und Blasenpflaster dabei hat und genügend Pausen macht. 

Kurz vor Weihnachten war ich nochmal zweieinhalb Tage in Oslo, um mein neues Zimmer in Betrieb zu nehmen und eine Kofferladung Kleidung rüberzubringen. Von der Arbeit bekomme ich ja für den Anfang ein Zimmer in einem Apartment gestellt – in toller Lage, mit Spülmaschine, Freundschaftspreis und sogar Putzfrau. Absolut luxuriös. Eigentlich ist es als WG gedacht, aber zunächst werde ich in dieser 3-Zimmer-Wohnung alleine wohnen. Da ich abends oft meine Ruhe brauche um aufzutanken kommt mir das sehr entgegen.





In Oslo muss ich so vieles neu lernen, was ich in den letzten 25 Jahren dachte schon gemeistert zu haben. Grundsätzliches, wie das Sprechen und sogar Gehen (auf ungeräumten, steilen Wegen, das ist kein Spaß! Und irgendwie bin ich die Einzige die an jeder Kreuzung dreimal ausrutscht).
Und Besonderes, wie ein Paket zu empfangen und zu verschicken, Arztbesuche, Schlösser schließen und die Heizung anzuschalten. Außerdem natürlich stadtbezogen: wie komme ich von A nach B (nicht so einfach, wo es doch ständig dunkel ist), wo bekomme ich günstiges Obst & Gemüse (ich bin so verwöhnt vom Maybachufer), wo ist die nächste Bücherei, das nächste Fitnessstudio, der nächste dm (1000 Kilometer südlich) …

Ich fordere meine Neuronen in der nächsten Zeit also maximal heraus und werde noch viel Zeit und Gedanken investieren müssen, bis ich es so gemütlich und routiniert haben werde wie in Berlin. Mein jugendlicher Leichtsinn sagt dazu aber: "Wird schon!"

In Oslo lag Schnee, und nicht zu knapp. Weil es sich vielleicht nicht lohnt, werden die Bürgersteige nicht geräumt und nicht gestreut. Wie schon erwähnt, komme ich dem Boden damit häufiger nah als geplant, während alle anderen, ob mit Absatzschuhen oder Krückstock, sich von den spiegelglatten Straßen überhaupt nicht beeindrucken lassen. Aber auch hinter dieses Geheimnis werde ich kommen. Und mir bis dahin eine Monatskarte kaufen. Aus gesundheitlichen Gründen.

Abgesehen von dieser Gefährdung war sie wunderschön, diese vorweihnachtlich beschneite Stadt. Zwei Dinge gibt es in Oslo nicht: Hupen und rot/grün/blau-blinkende Weihnachtsbeleuchtung. Stattdessen liegt eine friedliche Ruhe über der Stadt, aus den Fenstern scheint es warmweiß auf die Straßen und das alles überträgt sich direkt auf die eigene Stimmung. Ob ich in Zukunft viel mehr Energie haben werde, weil ich mich weniger ärgere, weniger Stress habe und vor allem zu Hause wirklich zur Ruhe kommen kann anstatt mich mit meinen Nachbarn auseinanderzusetzen? 



Aber noch bin ich im hektischen Berlin und staple Kisten. Und stopfe Koffer, ähnlich wie ich es mir bei einem Missionaren vorstellen würde der für fünf Jahre in den Dschungel ausreist: noch ein schönes Naturkosmetik-Duschbad, weil sie sowas da drüben ja nicht haben. Gewürze, weil die da drüben so teuer sind. Nüsse, man weiß ja nicht was man kriegt. Früchtetee, denn dort gibt es ja nur Grün- und Schwarztee. Und so weiter. Zwischendurch immer wieder das besorgte Überprüfen mit der Kofferwaage. Es wird eine knappe Kiste! Aber im Notfall ziehe ich am Flughafen noch ein paar Lagen mehr an. 

Morgen ziehe ich aus. Montag fliege ich rüber. Und Donnerstag geht der Ernst des Lebens los. Mit mir gibt es noch eine andere Neue in der Abteilung, und insgesamt sind wir vier Neue bei Making Waves. Das ist toll, da bekommen wir einen guten gemeinsamen Einstieg. 

Was ich mir für die nächsten Wochen wünsche: 
Dass der Flug gut geht, und alle Gepäckstücke intakt in der neuen Wohnung ankommen.
Dass diese Gelassenheit und Ruhe anhält, und nicht irgendwann ein Einbruch kommt. Und dass diese Zuversicht auch alle erreicht, die mich vielleicht sehr vermissen könnten.
Dass ich meinen Platz finde, sowohl auf der Arbeit als auch in einer Gemeinde und in der Stadt.
Dass mir zur richtigen Zeit die richtigen Leute begegnen, als Unterstützung, Freunde oder neue Mitbewohner. Denn ich würde gern zum ersten Mal in meinem Leben in einer richtigen WG wohnen. 

Wenn ihr könnt, unterstützt mich weiterhin betend! Dann geht es ganz schnell, und aus dem Zwischenzustand wird ein Ankommen.