Montag, 15. Mai 2017

Jeg snakker norsk

3 Tage saß ich nun in der Volkshochschule Schöneberg, Raum 110 um mit Ingerid zusammen meine ersten Versuche in der norwegischen Sprache zu wagen. Dabei fragte ich unzählig oft meine Nachbarn, ob sie aus Oslo seien, Finn hießen oder Dänisch sprächen, und konnte mir oft ein seliges Grinsen einfach nicht verkneifen.

Norwegisch zu lernen ist wie Weihnachten! Man packt ein Geschenk nach dem anderen aus. Zunächst die einleitende Erklärung, dass man sich mit Norwegisch in ganz Skandinavien gut zurechtfinden wird. Es ist dem Schwedischen ähnlich, dem Dänischen fast gleich, das Isländische ist nur eine alte Form davon und die Finnen sind zwar speziell, sprechen aber auch Schwedisch. Norwegisch ist quasi ein Generalschlüssel für den Norden!
Die ersten Grammatiklektionen. Es gibt keine Verbkonjugationen. Kein "Ich bin", "du bist", "er sie es ..."! Ich "bin", und alle anderen auch. Es gibt keinen Konjunktiv, nur eine Vergangenheitsform, keine grammatikalischen Fälle, usw. Für jegliche komplizierte Extravaganzen ist in dieser minimalistischen, tollen Sprache kein Platz! Nicht mal für die weibliche Form von Personenbezeichnungen. In Norwegen gibt es keine Ärztinnen und Lehrerinnen, nur Ärzte und Lehrer.
Wunderbar für mich armes Anfänger-Würstchen. Es ist einfach überhaupt kein Vergleich zu der Quälerei, die der Französisch-, Englisch- und später Italienischunterricht in der Schule darstellte.
Vielleicht auch, weil die Motivation jetzt eine andere ist. Ich WILL lernen, und nahm es Ingerid beinahe übel, als sie Samstag nach 7 Stunden Unterricht 10 Minuten früher Schluss machte (und uns in diesen Wahnsinns-Frühsommer entließ! Hatte ich es mir nicht gerade noch gewünscht?).

Es macht Spaß. Norwegisch zu sprechen fühlt sich so an wie mit einem roten Bollerwagen eine üppig blühende Wiese am Fuße eines idyllischen Fjordes runterzupreschen und dabei drei putzige Häschen umzunieten. Es holpert, kullert und rollt, ist abgehackt und unvorhersehbar, aber extrem vergnüglich.

An manchem perlt dieser einlullend niedliche Singsang allerdings ab wie Kinderschampus an Beton. Anna Schmidt ihr Name. Strenger grauer Dutt, russischer Akzent, schwarzer Nadelstreifenanzug, die älteste und einzig vernünftige Person im Raum. Anna prüfte genau, ob alle Anwesenden auch auf der Anwesenheitsliste standen und konnte es überhaupt nicht dulden, dass es in einem Fall nicht so war.
Denn wenn Anna über eins Bescheid weiß, dann ist es ihr Recht.Wenn man einen Kurs mit 15 Teilnehmern bucht darf man ja wohl auch erwarten dass man nicht plötzlich als eine von 16 dort sitzt!  Erhaben war sie hingegen über sämtliche Regeln, die das niedere Volk diesseits der 50 betreffen. Auf Bitte von Ingerid basteln sich alle fleißig ein Namensschild - Anna sieht das gar nicht erst ein. Alle haben sich, wie in der Kursbeschreibung gewünscht, das begleitende Lehrbuch im Vorhinein gekauft. Anna sah die Notwendigkeit nicht und ließ sich alles seitenweise kopieren. Anna behielt sich das Recht vor, Fragen zu stellen wenn sie es für erforderlich hielt und andere zurechtzuweisen wenn sie das selbe wagten, mit der Aufforderung, sich doch bitte zu konzentrieren.
Anna hatte die Zeit im Blick und beendete Ingerids Ausführungen über Norwegens Natur und beliebte Wanderziele sekundengenau um 15:45 Uhr mit einem gewehrschussartigen "Die Pause!" nachhaltig und unbarmherzig.
Anna war besonders. Aber ansonsten war es eine sehr angenehme Truppe, einige Studenten mit anstehenden Auslandssemestern und einige Berufstätige die irgendwann auswandern oder einfach im Urlaub besser zurechtkommen wollen. Eine schöne Abwechslung, mal mit neuen und motivierten Gesichtern zusammen zu lernen.

Dieser Intensivkurs war viel besser als ich gehofft hatte, und meinem Gefühl nach extrem effektiv (anders als man es mir im Vorhinein von VHS-Kursen berichtete). Ich bin optimistisch, in Norwegen (gut) zurecht zu kommen. Außerdem war in den drei Tagen, so Anna es zuließ, Zeit für ein bisschen Landeskunde und mir wurde noch einmal bewusst, wie vielfältig, schön, spannend und besonders dieses Land ist. Im Moment überwiegt wieder die Vorfreude!

Samstag, 6. Mai 2017

Mein Sommer wird kühl

Wacht ihr auch manchmal mitten in der Nacht auf und fragt euch, ob ihr komplett verrückt geworden seid?

Mir geht es in letzter Zeit oft so.
In ein fremdes Land? Wo du nicht EIN Schwein kennst? Nichtmal die Sprache sprichst? Was willst du da, wie soll das gehen, wie willst du das bezahlen, HAST DU DIR DAS RICHTIG ÜBERLEGT?

Nein,  habe ich nicht. Manchmal ist es ganz gut, wenn man nicht wirklich nachdenkt, bevor man etwas entscheidet. Da ich dazu tendiere, alles in 10facher Ausfertigung zu überdenken, mir jede mögliche Situation, Wendung, Begegnung auszumalen und alles vermeide, was ich nicht absolut sicher vorausplanen kann, ist es erstaunlich, dass ich mich für mein anstehendes Praktikumssemester ab Sommer einfach frei heraus in Schweden, Norwegen und Finnland bei verschiedenen Agenturen beworben habe.
Als ich dann eine Zusage bekam, schaltete direkt der Automatismus des Organisieren, Planens und Kalkulierens ein: ich erkundete das Örtchen der Agentur per Googlemaps, informierte mich über eine mögliche Erasmus-Förderung und Auslandsbafög, verhandelte über den Zeitraum des Praktikums und Schwupps: schon stehe ich mit einem Bein in Norwegen. Das andere liegt nachts in Berlin und kann nicht schlafen.

Ja, ich habe mich selbst überrumpelt und werde ab August drei Monate in Haugesund, an Norwegens Westküste sein. Extreme Aufregung und Vorfreude wechseln sich ab mit Zweifeln und totaler Panik.
Es ist so viel zu tun! Mit digitalen und analogen Listen versuche ich den Überblick zu behalten über alles. Anträge, die zu stellen sind mit all den Belegen, Stempeln, Unterschriften und Bescheinigungen die gefordert werden. Eine Packliste, mit dem zu belächelnden Ansatz, an alles zu denken was man in drei Monaten gebrauchen könnte, nicht nur an Klamotten, sondern auch an Hausrat und Technik. Versicherungen, die abzuschließen sind ... und und und.
Natürlich spreche ich auch kein Wort Norwegisch. Dem möchte ich mit einem Wochenend-Intensivkurs an der Volkshochschule Abhilfe verschaffen. Das Lehrbuch dazu habe ich mir pflichtbewusst sofort bei Amazon bestellt und schonmal durchgeblättert - sieht gar nicht so schwer aus. Ehe sich ein anderer Eindruck aufdrängen konnte, habe ich es schnell wieder zugeklappt.
Erstaunlich leicht verlief die Wohnungssuche. Mit unverschämtem Glück (eher himmlischer Intervention) habe ich mich noch genau innerhalb der Frist für einen Wohnheimplatz beworben. Da ausländische Studenten Vorrang bekommen, antwortete man mir einen Tag nachdem ich mich durch ein ziemlich kompliziertes, norwegisches Bewerbungsportal gekämpft hatte und bot mir ein Zimmer an. Dabei hatte ich mir gerade noch Artikel durchgelesen wie es in Norwegen an Unterkünften für Studenten mangelt, dass die Wartelisten ellenlang sind und ich bin nichtmal an der dortigen Hochschule immatrikuliert! Ich bezahle zwar doppelt so viel Miete wie hier in Berlin und zwei Drittel meines Prakitkumsgehalts, aber es ist immer noch günstiger als andere Wohnungen in der Stadt und vor allem werde ich jede Menge Gleichaltrige um mich herum haben. Da wird man nicht einsam! Vor der Haustür startet direkt ein Wald und auch ein großer See ist nebenan. Zu meiner Arbeit ist es ein gemütlicher Spaziergang von 2 Kilometern. Nicht schlecht Gott!

Was gibts zu sagen zu Haugesund? Es liegt an der Westküste, in der Nähe von Bergen (also noch in sehr gemäßigten Breitengraden). Das Städtchen ist für Berliner Verhältnisse eher winzig mit 36.000 Einwohnern, aber immerhin haben sie ein schönes Hafenviertel und noch viel schönere Natur drumherum. Richtig was los ist im August bei einem einwöchigen Jazzfestival. Ich werde früh genug ankommen, um das mitzuerleben! Außerdem haben sie es irgendwie mit den Wikingern, aber da habe ich mich noch nicht so informiert.
Von den über 20 Praktikumsbewerbungen die ich verschickt hatte, kam bis jetzt nur diese eine direkte Zusage, alle anderen wollten sich melden wenn sie jemanden brauchen. Sehr komfortabel, denn Entscheidungen zu fällen ist nicht so meins. So brauche ich mich nicht zu entscheiden. Gott hat sich das so ausgedacht mich dorthin zu schicken und ich bin gespannt zu sehen warum.

Trotzdem kann ich das sorgen nicht lassen. Im Moment wegen meines Zimmers. Ich muss einen zuverlässigen Untermieter finden dem ich meine Möbel anvertrauen kann, der wirklich über den kompletten Zeitraum mietet und auch noch bereit ist, sich in die Gemeinschaft hier im Refugio mit einzubringen. Dafür muss ich dann mehr oder weniger ausziehen, und wenn es nur für drei Monate ist: Schränke, Schubladen, Fächer ausräumen und den Kram zwischenlagern. Irgendwo ... da habe ich noch keine Lösung. Hat jemand Platz für ein paar Umzugskartons?
Außerdem muss ich mich weiter tapfer an der Papierfront schlagen. Ich fülle brav Formular um Formular aus und sammle all die, die ich noch von Hinz und Kunz unterschreiben lassen muss. Vor allem bei meiner zukünftigen Agentur ist es mir wirklich unangenehm, ständig mit irgendwelchem Zettelkram ankommen zu müssen. Ich bin Deutsche, bei uns macht man das so ...

Aber sie sind wirklich sehr sehr freundlich dort. Die Agentur heißt Iversen Skogen, es arbeiten um die 20 Leute dort (darunter nur 3 Frauen!). Sie machen wirklich coole Sachen, vor allem aber wertschätzen sie ihre Mitarbeiter und beschreiben sie auf ihrer Website als ihr wertvollstes Gut. Das gefällt mir! Dazu passt auch, dass sie mir einen Lohn bezahlen wollen der weit über dem liegt was ich in meiner Naivität und Bescheidenheit angegeben hatte (in Unwissenheit über die norwegischen Lebenshaltungskosten).
Und so werde ich drei Monate Vollzeit dort arbeiten und endlich spüren, wie das so ist als Grafikdesigner im echten Leben. Und als Ausländer. Und als Probeskandinavier.

Bis dahin werde ich noch überlegen, ob ich mein Stevia mitnehmen kann (ein tolles natürliches Süßungsmittel) oder damit provoziere, gleich am Flughafen verhaftet zu werden (es ist leider in weißer Pulverform). Ich werde weiterhin fieberhaft darüber nachdenken, wie ich meinen Kleiderschrank, der immer offen steht, nicht aus Gastfreundlichkeit meiner T-Shirts sondern weil er zu voll ist, auf maximal einen Reisekoffer herunterbrechen kann. Ich werde mir überlegen müssen, was ich drei Monate ohne Fitnessstudio mache, ohne Bücherei und ohne Aldi. Ich werde höchstwahrscheinlich noch einige schlaflose Nächte verbringen, hoffentlich aber auch viele Tage voller Vorfreude. Und hoffentlich sehr bald eine ordentlich sommerliche Hitzewelle hier in Berlin! Denn dort wird es frisch sein und hauptsächlich regnen, wenn man den Klimadiagrammen trauen darf.

Auf jeden Fall werde ich mich freuen, wenn ihr in den nächsten Monaten hier wieder mit dabei seid. Ich werde meine Erfahrungen in Skandinavien pflichtbewusst dokumentieren und euch teilhaben lassen. Also ich hätte als ich den Norwegen-Report des letzten Sommers schrieb nicht gedacht, dass es im nächsten Blogpost wieder um dieses Land gehen wird! Nur diesmal in größer.