Samstag, 29. Juli 2017

Türme bauen und Brücken abreißen

Seit Dienstag lebe ich aus dem Koffer. Da stand auf meinem Zettel "Klamotten packen". Seit Donnerstag reiße ich mehrmals am Tag Umzugskartons wieder auf. Da war "Küche packen" an der Reihe. In meinem Zimmer bewege ich mich nur noch im Slalom, denn den großen, festen Karton den ich nach Norwegen schicken will, habe ich noch nicht aufgefaltet bekommen. In allen Ecken stapeln sich Sachen, die da noch rein müssen. Nicht zu verwechseln mit den Stapeln, die ich noch an andere Leute weitergeben will, oder denen, die in den Müll kommen. Es ist kompliziert!
Beim packen musste ich manchmal minutenlang auf dem Boden sitzen und ins Leere starren, weil so viele Gedanken da waren dass ich keinen fassen konnte und nicht wusste, was ich als nächstes wohin stecken soll. Es war eine sehr anstrengende, schwierige Woche! Aber jetzt stapeln sich 9 (kleine) Umzugskartons im Zimmer und es ist viel Platz für meine Untermieterin im Schrank.

Mindestens genauso schwierig sind die Abschiede, die jetzt Schlag auf Schlag kommen. Heute saß ich bei Sonnenschein, einer leichten Brise und guter Musik inmitten von Blumenkästen bei uns auf dem Dach inmitten herausragender Freunde, die ich im letzten Jahr bei SfC (Studenten für Christus) kennenlernen durfte. Ich war kurz aus den Gesprächen rechts und links ausgeklinkt und bemerkte zum ersten Mal das berühmte Kreuz, das die Sonne tatsächlich auf den Fernsehturm malt.
Ich habe ein Abschiedsbrunch ausgerichtet und es war wunderbar und ein bisschen traurig. Es ist unglaublich, was für gute Freundschaften bei SfC entstanden sind, Menschen die mich komplett annehmen, wertschätzen, die echt sind, mit denen ich gern Zeit verbringe und hinterher voller Energie bin. Ich danke Gott so sehr für diese Beziehungen, die ich so noch nie erlebt habe! Wenn der Glaube an den selben Gott einen verbindet ist das so viel intensiver als der selbe Studiengang oder die selbe Adresse.
Ich habe auch drei Abschiedskarten erhalten. Da werden mir Eigenschaften zugeschrieben, an die ich für mich noch nie gedacht habe. Dankbar (?! Wie schön, dass man das merkt!), humorvoll, breites Lachen, cooler Style. Und dass sie sich freuen, mich dann wiederzusehen. Hach. Ich bin so glücklich über diese Menschen!

Nach diesem aufwühlenden, aber im Gesamten glücklich machenden Vormittag musste ich direkt weiter zur Hochschule, für den zweiten Tag unserer Werkschau, dem Tag der offenen Tür. Wie schon vor vier Wochen als wir unser Projekt ausgestellt hatten haben wir sehr viel gutes Feedback erhalten und konnten es total genießen, nach all den Anstrengungen, Misserfolgen, Lernprozessen und elendig vielen Stunden Arbeit Publikum mit dem Endprodukt zu faszinieren (wir haben eine Holzbox gebaut und auf ein Metallgestell platziert. In der Box sind 5 Kompressoren, die über Arduino und Computer angesteuert werden, an den Kompressoren hängen 5 Luftballons, die jeweils für eine Facebook-Seite stehen. Wenn eine Seite "geliked" wird, erhält der Luftballon einen Luftstoß. Nach einiger Zeit entsteht so ein ganz guter Vergleich, welche Seiten viel Aufmerksamkeit bekommen (Nutella Deutschland) und welche eher weniger (Unicef, EU). Um es mal im Schnelldurchlauf zu erklären).


Jedenfalls fühlt es sich unwirklich an, nach fast einem halben Jahr auch dieses Projekt jetzt abzuschließen. In dem Kurs waren wir ziemlich eng zusammengewachsen, sicherlich auch weil wir nur 8 Studenten waren (und 2 Professoren/Dozenten). Es war eine wirklich nette Truppe und von ihnen der zweite Abschied an diesem Tag. Aber es war auch das letzte große Projekt, das ich an der Hochschule gemacht habe, jetzt kommen nur noch Praktikum und dann die Bachelor-Arbeit. Also war es auch schon ein bisschen Abschied vom studieren. Viele Brücken, die abgerissen werden! Ich habe mir vorgenommen, Veränderung als etwas Gutes anzusehen. Denn einerseits bin ich ja nicht so sehr lange weg, andererseits wird trotzdem vieles hinterher anders sein als vorher. Im Haus werden möglicherweise viele Leute ausziehen müssen, und selbst hier habe ich mittlerweile Freunde gefunden die sagen sie würden mich vermissen. Max wird nicht mehr nebenan wohnen. Ich werde vielleicht nicht mehr ganz genau so sein wie jetzt. Aber es ist gut, wenn es vorwärts geht und man immer mal wieder etwas Neues macht. Wenn man es wagt, sieht man im Nachhinein doch immer, dass Gott noch bessere, oder einfach andere, zum Zeitpunkt besser passende Sachen vorbereitet hatte.

Ich glaube es wird sich auch gut anfühlen, Berlin mal eine Weile den Rücken zu kehren, so sehr ich mich auch ein halbes Leben lang danach sehnte, hierher zu ziehen. Manchmal sitze ich in der U8 und bin unglaublich genervt von dem ganzen Getue, den Fassaden, diesen exzentrischen jungen Leuten die denken wenn sie sich besonders hässliche Pullover anziehen und sich ausschließlich auf Englisch unterhalten schwebten sie zwei Sphären über allen Normalos und seien dabei furchtbar individuell. Dass überall Cafés aus dem Boden sprießen, deren größte Anstrengung es ist möglich abgeranzt auszusehen, wo man seinen Kaffee (Soja Latte) im Marmeladenglas serviert bekommt und eine Stulle auf einem Holzbrett derart schick ist dass man dafür 9 Euro 50 bezahlen darf. Dass sich ständig irgendwo Leute übergeben müssen (reißt euch doch mal zusammen! Ich. kann. das. nicht. sehen!!!). Dass jeder immer und überall motzen muss und sich selbst absolut im Recht sieht andere zu erziehen.
Und dann liebe ich es, an einem Donnerstag um zwei in einer Bar mit pink beleuchteten Plüschwänden zu stehen, die so voll ist dass einem der Schweiß in Bächen den Rücken runterrinnt und einfach entspannt mit Kommilitonen ein Weinchen zu trinken und zu quatschen. Oder bei heranrollendem Gewitter am Landwehrkanal zu sitzen und zu riechen, wie sich die Luft verändert. Oder den Türken abends seinen Computer-Literatur-Taschen-Tischdecken-Kramladen zumachen zu sehen, der immer nett meine Hermespakete entgegennimmt. Zum Feierabend zwei Schalen Erdbeeren für einen Euro zu kaufen. In einem Bahnwaggon zu sitzen, in dem jeder zweite eine Münze für den Motz-Verkäufer hervorkramt.

Es wird Zeit! Morgen ziehe ich aus, übergebe den Schlüssel an meine Untermieterin und kehre meinem Zuhause der letzten drei Jahre den Rücken. Am Donnerstag fliege ich in den Norden. Vielleicht endlich. Natürlich bin ich aufgeregt und ängstlich, aber die Abschieds-Nervosität ist noch viel schlimmer. Ich kann Abschiede nicht leiden. Ich hoffe mir stehen noch drei schöne, entspannte Sommertage bevor. Nächste Woche um die Zeit habe ich meine neuen Arbeitskollegen schon kennengelernt.


Samstag, 1. Juli 2017

Der letzte Monat bricht an

"ATEMLOOS DURCH DIE NACHT ..." kräht Helene Fischer unbarmherzig aus den Lautsprechern, vor mir verrenken sich alberne, mittel- bis alte Menschen ordentlich angetütelt unter bunten Lichtern, ich stehe seit 5 Stunden an der Bar und habe Blasen an den Händen vom Öffnen unzähliger Flaschenverschlüsse. Das ist hart verdientes Geld!

So sahen meine ersten Minuten im Juli aus, dem letzten Monat zu Hause.
Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Norwegen denke, manchmal keine Stunde. Ständig schießen mir Gedanken durch den Kopf, was ich mitnehmen will, was ich noch abzuklären habe, was dort anders sein wird, was ich jetzt noch genießen muss, wen ich wohl schon zum letzten Mal gesehen habe und wie ich die letzten Wochenenden noch maximal gut nutze.
Einfach nur hinfahren und es auf mich zukommen lassen, das kann ich nicht.
Ich wünsche mir sehnlichst, ich könnte die Zeit anhalten um das Jetzt so wie es ist noch auszukosten, andererseits möchte ich auch endlich einfach nur da sein um aus diesem Gedankenkarussell rauszukommen. Ich, aufgeregt? Du ahnst es nicht.

Der Juni war wirklich produktiv. Der Papierkram ist so gut wie durch. Eine Untermieterin für den gesamten Zeitraum ist gefunden, nächste Woche kommt sie zu Besuch und wird den Vertrag unterschreiben. Ich habe sehr viel gearbeitet (so wie gestern Nacht an der Bar), und unser Uniprojekt ist auch zu einem vorläufigen, guten Ende gekommen. Der Flug hin (und auch schon zurück) ist gebucht. Trotzdem gibt es noch einen Haufen praktischer Kleinigkeiten, die mir das Gefühl geben, nicht gut vorbereitet zu sein. Aber wahrscheinlich wird das bis zum Schluß so sein.

Ich bin dabei, das zweite Buch über Norwegen und die Mentalität der Norweger zu lesen und sehr begeistert. Es scheint so ein gemütliches, ruhiges Völkchen zu sein! Mit der Arbeit wird es nicht übertrieben (Überstunden müssen beantragt werden, und generell gilt dass man arbeitet um zu leben und nicht andersherum), man nimmt sich selbst nicht zu wichtig (das Jante-Prinzip: aufzufallen ist peinlich, lieber verschmilzt man in der Masse als sich selbst herauszustreichen), die Natur wird geachtet aber auch genutzt (Walfang, Elchjagd), das Wetter nimmt man wie es kommt (auch wenn es z.B. wie in Bergen an 360 Tagen im Jahr regnet - es gibt nur schlechte Kleidung).
So etwas zu lesen steigert dann wieder die Vorfreude und ich habe richtig Lust, das alles selbst zu erfahren, bzw. zu gucken ob das auch auf die Leute in Haugesund zutrifft.

Außerdem habe ich heute gesehen, dass ich es in den Newsletter von Iversen Skogen geschafft habe. Sie zeigen das Bewerbungsfoto aus meinem Portfolio, stellen mich vor und sagen, dass sie sich auf mich freuen. Das ist ein gutes Gefühl! Ich glaube es sind wirklich nette Leute. Und trotzdem schlottern mir die Knie. Mit dem Gottvertrauen raff ich es immer noch nicht so, aber ich kann ja noch weiter üben. Den ganzen Juli lang. Außerdem steht in diesem Monat an, das Zimmer auszuräumen und Koffer zu packen, das Semester gut zu beenden, die ganzen Kleinigkeiten zu regeln, noch ein bisschen Familienzeit zu genießen (hoffentlich), Sonne zu tanken (bitte!!) und noch ein paar Mal arbeiten zu gehen. Ich weiß schon, dass die Zeit schneller rumgehen wird als ich gucken kann, egal wie sehr ich mich dagegen sträube. Trotzdem werde ich versuchen, sie zu genießen und etwas, wenigstens ein bisschen, gelassener zu sein. Ha. Ha.

Ich freue mich übrigens sehr über den Zuspruch, den ich von euch allen erhalte! Das ist sehr ermutigend.