Sonntag, 6. Januar 2019

Det ordner seg

Ok, ja. Am Sonntag, ein paar Stunden und unruhige Nacht vor endgültigem Abflug, war nicht mehr viel übrig vom Optimismus. Ich war panisch, traurig, und wunderte mich über so eine dämliche Entscheidung. Tausend Kilometer von meiner Familie wegzuziehen, mein Heimatland hinter mir zu lassen und in eine Stadt zu gehen, in der ich null Personen kenne.

Ich war gar nicht mutig. Ich hätte mich gerne in einer Sofaecke zusammengerollt und wäre für immer dort geblieben.

Stattdessen räumte ich 100 Sachen aus Koffer A raus, packte sie in Koffer B und C. Wog, verfrachtete wieder einen Teil von Koffer B nach A, und von C nach D. Wog. Legte ein Teil mehr auf den "Morgen anzuziehen"-Haufen.
Alles Mögliche ging an diesem Tag schief. Bis zum Abend wusste ich nichtmal, ob beide Brüder mitfliegen würden wie geplant, einer oder gar keiner. Ich musste mich noch um Bustickets vom Flughafen zur Wohnung kümmern. Ich bekam mit, dass man in Norwegen mit dem deutschen Ausweis nicht weiterkommt, sondern einen Reisepass braucht. Erst war ich erleichtert, den überhaupt im Koffer zu haben, und nicht in dem gemieteten Storage in Lichtenberg. Dann stellte ich fest, dass er seit einem Jahr abgelaufen ist. Shit happens. Das heißt Probleme beim anmelden und allen Behördengängen, bei der Kontoeröffnung usw.
Hätte man das vorher wissen und den Pass noch in aller Ruhe verlängern können? Vielleicht. Aber so viele Sachen, die zu bedenken und organisieren waren, weigere ich mich, mich über mich zu ärgern. Eher darüber, dass Norwegen nicht in der EU ist und damit alles dreimal so kompliziert.

"Det ordner seg" – eine norwegische Grundhaltung. Das wird sich alles ergeben. Probier's mal mit Gemütlichkeit. Stress nicht so viel rum.

In der letzten Woche habe ich das oft erlebt. Alles fällt irgendwie an seinen Platz und ordnet sich. Gott greift ein, jeden Tag.

Wir waren in geplanter Personenzahl am Flughafen. Die Koffer waren in Ordnung und wurden angenommen, ich habe dort noch einen vorübergehenden Reiseausweis bei der Polizei machen lassen (Tipp für jeden, der mal in die selbe Situation kommen sollte. Mit einem vorübergehenden Reiseausweis kann man trotzdem fliegen und in die meisten Länder einreisen, auch wenn der eigentliche Reisepass überraschend abgelaufen ist.) Der Abschied war schnell und damit leichter, weil wir plötzlich vor dem Bereich standen in den man nur noch mit Flugticket reinkommt. Es war ein sehr gutes Gefühl, nicht alleine weiterzugehen sondern zwei Kofferträger zu haben! Und die Reise gemeinsam zu erleben.

Und Tschüß! Ab in den Sonnenaufgang.

In Oslo machten wir uns in meiner Wohnung breit, die wir ja ganz für uns hatten. Es fühlte sich erst bedrückend an: diese zwar eingerichtete, aber leblose Wohnung, die irgendwie kahl ist und irgendwie doch an vielen Stellen voller fremder Gegenstände, wie Duschbäder im Bad oder Essen im Kühlschrank. Ich konnte mir nicht vorstellen, daraus ein "Zuhause" machen zu können, aber nachdem ich meine Sachen überall verteilt und ein bisschen umgeräumt hatte ging es schon besser.

Das Bedrückte und Abschieds-Traurige verschwand schließlich, als wir um Mitternacht am Hafen standen. Ich bin kein Fan von Feuerwerks und empfinde Silvester als eine überflüssige Veranstaltung. Aber uns bot sich eine wirklich gute Show. Eine große Menschenmasse hatte sich dort versammelt, und anstatt dass jeder seinen eigenen Dreck in die Luft schoss gab es ein großes, offizielles Feuerwerk. Beeindruckend, visuell, und auch akustisch, denn über dem Wasser dröhnten die Feuerwerkskörper richtig. Die Menge freute sich: besonders große Raketen wurden mit einem begeisterten "Ooooh!" kommentiert. Ein schönes, gemeinsames Erlebnis das mir Oslo sehr lieb machte.

Am 1. Januar fuhren wir drei (nach dem Ausschlafen) mit der U-Bahn auf den Holmenkollen, einer berühmten Skischanze, und machten dort einen herrlichen Spaziergang durch ganz viel Schnee, bei strahlendem Sonnenschein. Auch das ließ in mir ein gutes Gefühl in Bezug auf Oslo zurück.




Am 2. sind die Jungs früh morgens wieder zurück zum Flughafen gefahren. Das hätte wieder ein Grund für Einsamkeit und schlechte Stimmung sein können – aber: det ordner seg! Ich traf mich mit einer Deutschen, die auch erst im September nach Oslo gezogen ist. Ich hatte sie über facebook gefunden und wir tauschten unsere Erfahrungen bei Kaffee aus. Damit verabschiedete sich das Alleine-Gefühl!

Abends war ich nervös vor dem ersten Arbeitstag, aber völlig unnötig. Ich habe mit zwei anderen zusammen angefangen, und wir wurden gemeinsam überall herumgeführt, vorgestellt, bekamen interne Strukturen erklärt und hatten auch Zeit um uns mit unseren neuen Computern und Arbeitsplätzen einzurichten. Es war entspannt und herzlich, ich freue mich wahnsinnig, Teil dieser Agentur geworden zu sein. Um Punkt vier Uhr war natürlich Feierabend, wie man das hier so macht.

Was mich diese Woche noch ein bisschen quälte, war das Einkaufen. Muss ich wirklich auf Gurken verzichten weil ich es nicht mit mir vereinbaren kann, dafür umgerechnet pro Stück über 2€ zu bezahlen? Genauso wie Salat, Äpfeln, Orangen, ... ?
Auch diese Sorge löste sich in Luft auf. Meine in Oslo geborene Kollegin zeigte mir am Freitag einen Laden in einem weniger guten Teil der Stadt, der Obst und Gemüse tatsächlich auf deutschem Preisniveau verkauft, wie auch immer er das schafft. Es ist ein großes Gedränge und Geschiebe, unübersichtlich und anstrengend, aber lohnt sich absolut. Ich war euphorisch. Ein Grund mehr, Oslo zum Zuhause werden lassen zu können!

Freitagabend war ich bei einem Treffen für internationale Neue in Oslo. Ich wusste, dass der Organisator Deutscher ist, und stellte mich ihm vor. "Gibt viele Deutsche heute, da sitzt auch eine", meinte er, und deutete auf eine Jacke die auf der Bank lag. Ich ließ mich daneben nieder. Als sie dann von der Toilette kam, schauten wir uns an und waren beide erstmal ein paar Sekunden sprachlos. "Wir kennen uns ...!?" Tatsächlich haben wir viele gemeinsame Touren bei der Obdachlosenhilfe in Berlin gemacht. So ein wahnsinniger Zufall! Wir konnten es beide den ganzen Abend nicht fassen, haben aber viel gequatscht und werden sicherlich noch einiges miteinander unternehmen.

Wiedersehen in einer Osloer Bar

Schlussendlich, um die Reihe dieser vielen tollen Erlebnisse und Fügungen für diese Woche zu beenden, war ich heute in der Gemeinde die ich mir im Vorhinein ausgeguckt hatte, und bin auch hier überzeugt, am richtigen Ort zu sein. Nicht nur, dass sie ziemlich in der Nähe ist, ich habe direkt Anschluss mit netten Norwegern gehabt, die Predigt ohne Übersetzung verstanden, guten Kaffee getrunken und fühlte mich wohl. Eine Kleingruppe habe ich auch schon und bin gespannt, was für Menschen ich in der nächsten Zeit näher kennenlernen werde.

Vielen vielen Dank für eure Gebete, sie bewegen wahnsinnig viel!! Die nächsten Schritte sind eine eigene Wohnung/WG und weiterhin ein gutes Ankommen auf der Arbeit, in der Gemeinde und der Stadt. Auch das Norwegische möchte ich gerne bald beherrschen, und wenn möglich nicht so bald krank werden – ich habe das System hier noch nicht verstanden :)