Tag 3 - Montag ca. 12,15km, 737m hoch, 951m runter
Ich sparte es mir, auf einen Felsen zu klettern um den Sonnenaufgang zu beobachten und fotografieren, das gab ich an Max ab. Aber als ich irgendwann wirklich wach war ging es mir blendend. Wirklich! Die Grippe muss irgendwann beleidigt abgezogen sein, nachdem ich ihr nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Ich war wieder klar im Kopf, der Hals tat kaum noch weh, in den nächsten Tagen blieb nur noch der Schnupfen und ab und zu Nasenbluten. Nichts mehr, was einen wirklich hindert.
Ein paar Sonnenstrahlen machen so einen Unterschied. Natürlich waren unsere Finger immer noch klamm und taten weh und kurz nach dem Aufstehen hatte man alle möglichen Pullover und Jacken an. Trotzdem wärmte die stärker werdende Sonne und verbreitete gute Laune. Frohen Mutes schaufelte sich jeder sein Frühstück rein.
Aus dem Frühstück kann man übrigens eine echte Wissenschaft machen. Jeder ist mindestens genauso stark davon überzeugt, dass er selbst die perfekte Mahlzeit in den Händen hält wie davon, dass alle anderen es völlig falsch machen. Die Notwendigkeit, Platz und Gewicht zu sparen, gleichzeitig aber genug Energie zu sich zu nehmen, treibt ganz skurile Blüten. Z.B. dass sich jemand des Morgens ausschließlich von "Belvita Frühstückskeksen" ernährt, so einer kleiner Packung à 5 Stück. Die verschwindet innerhalb einer halben Minute, woraufhin beteuert wird, man sei "total satt". Junge, das glaubt dir kein Mensch! Nein, auch nicht wenn du Honig draufschmierst.
Andere greifen zum beliebten Vollkornbrot. Besser, aber natürlich noch längst nicht ideal. Das wirklich Wahre ist Babybrei. Mit Müsli. Hat sich ja letztes Jahr schon bewährt, und da kann mir niemand was erzählen. Kompetent zusammengerührt ergibt das eine extrem zähe und süße Pampe, danach könnte man Bäume ausreißen, auf jeden Fall aber Gipfel erklimmen.
Die Jungs wollten mir das nicht glauben, aber ich denke sie waren insgeheim doch sehr neidisch.
Nachdem sich also jeder auf seine Weise gestärkt hatte und alle Zelte flugs wieder abgebaut und verstaut waren schritten wir schwungvoll aus und genossen den Sonnenschein, der uns den ganzen Tag begleitete.
Neue Erfahrung: wandern bei strahlendem Sonnenschein |
Nachdem wir durch ein um die Jahreszeit komplett verlassenes Skigebiet gewandert waren kamen wir kurz vor Mittag durch einen kleinen Ort.
Ein Skigebiet und kein Mensch da |
Da eben keine Skisaison war, war dieser Ort auch ziemlich verlassen, aber eine kleine Tankstelle war offen. Wir müssen alle noch einen kleinen Ossi in uns schlummern haben, denn in der Wüste der völligen Konsumfreiheit klammerten wir uns an diesen winzigen Strohhalm in Form einer Tankstelle mit Snackangebot. Wow, Leute, hier kann man was kaufen!! MÜSLIRIEGEL! Und Salami. Und Bier. Schnell!
Zu viert verübten wir einen Tankstellenüberfall mit Geld. Es gab nur zwei kleine Regale, und eins war voller Alkohol und Zigaretten. Hat uns in diesem Fall nicht interessiert und so kauften wir beinahe alles, was das zweite Regal hergab. Man weiß ja nicht, wann man mal wieder etwas kriegt! Ich hatte nur ein bisschen Pech, dass der freundliche Kassierer keine 5€-Scheine und nichtmal mehr 2€-Stücke hatte. Das Wechselgeld auf 20€ hat er mir komplett in Münzen gegeben. Wenn andere Leute vor der Reise ihre Zahnbürste absägen, um Gewicht zu sparen, könnt ihr euch vorstellen dass das gar nicht so lustig war! Aber mittlerweile war der Rucksack auch schon leichter geworden, das konnte meine Laune nun auch nicht mehr verderben.
Von da unten sind wir hergekommen! |
Abends kamen wir wieder an einer Hütte an, und dieses Mal waren wir sogar allein dort! Zumindest, was Mitmenschen angeht. Ansonsten waren wir von einem Haufen Kühe umringt, die fröhlich bimmelten und den Boden der ganzen Gegend großzügig düngten. Jeden Schritt außerhalb der Hütte setzte man deshalb besonders bedächtig, was manchmal aber auch nicht mehr half.
Bei der Waschfrage ließ ich die Jungs vorgehen und sich eine geeignete Stelle suchen. Sie kletterten ein wenig nach oben, in den Schatten der Berge und froren sich dort sicherlich einen ab. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung und fand den herrlichsten Waschplatz überhaupt. Bei mir schien die Sonne, eine Brücke überquerte den Bach und diente als Ablage für Brille und Shampoo, der Boden war etwas moosig auf dass ich mir nicht meinen Fuß an einem spitzen Stein stoße. Es war immer noch eine Überwindung und schweinekalt sich dort zu waschen, gleichzeitig aber auch richtig schön. Entferntes Glockengeläut der Kühe, ansonsten nur das Rauschen des Baches, weit und breit kein Mensch zu sehen, goldenes Licht der Abendsonne und das alles am Ende eines richtig guten Tages. Ich schwebte förmlich zurück zur Hütte.
Tag 4 - Dienstag ca. 11,18km, 1.000m hoch, 1.020m runter
Der vorletzte Wandertag! Ich freute mich darauf.
Nach Aufbruch stapften wir zielstrebig im Gänsemarsch über die Brücke, die mir am Tag zuvor noch beim baden assistiert hatte. 10 Minuten später kamen wir aus der anderen Richtung wieder und überquerten die Brücke nochmal im Gänsemarsch. Wir hatten uns ein bisschen verrannt, es kam uns aber schon nach kurzer Zeit komisch vor, dass es so angenehm bergab ging. Also Kurs korrigiert und zielstrebig in die entgegengesetzte Richtung!
Es war etwas neblig, was hervorragend zu der noch raueren Landschaft als vorher passte. Wir kletterten über weite Steinfelder und kamen uns mal wieder vor wie die einzigen Menschen auf diesem Planeten. Nur dass an einer kritischeren Stelle eine Eisenkette an der Wand angebracht war, erinnerte an den Rest der Menschheit. Habe ich schon einmal erwähnt, wie sehr ich solche Gegenden liebe?
Rau und charmant, diese Gegend |
Über den Tag nahm der Wind immer weiter zu. Und wenn Wind nach etwas klingt, was einen im Wesentlichen nicht weiter stört, dann schreibe ich lieber Sturm. Denn seit Sonntag wurde man ja immer wieder mal an bestimmten Stellen von den Böen richtiggehend umgeworfen. Besonders gerne an steilen Aufstiegen oder Gratwanderungen mit steilen Abhängen auf beiden Seiten. Jedenfalls waren wir sehr froh, als wir abends eine Hütte erreichten, die wir dieses Mal mit einem Australier und einem Belgier teilten und die dieses Mal von jeder Menge Pferden, ebenfalls mit Glocken um den Hals, umringt wurde. Die düngen übringes mindestens genauso gut und es war dieses Mal noch aussichtsloser, sich außerhalb der Hütte trockenen Schuhs zu bewegen. In den ein oder anderen Haufen versank man noch wesentlich tiefer, als einem lieb gewesen wäre.
Beim abendlichen Waschen entwickelte ich endlich eine Taktik um die Leiden dabei zu halbieren: erst oben waschen und schnell wieder alles anziehen, dann die Beine waschen und den Rest schnell anziehen. Schon bietet man dem Wind viel weniger Angriffsfläche! Die Haut an meinen Fersen löste sich mittlerweile in Streifen ab und meine Pflaster waren alle aufgebraucht, um ein Loch im Rucksack zu flicken. Glücklicherweise reist man ja nicht allein und mein freundlicher Wanderkollege stattete mich mit Blasenpflastern aus.
Dann wurde wieder ein raffiniertes Abendessen gekocht, aus erlesenen Zutaten. Also allem, was man in den Rucksäcken noch so findet. Einzigartiger Geschmack. Das Geheimnis? Kräuter der Province! Aber nicht zu wenig.
MIttlerweile war das Türöffnen und Hütte betreten oder verlassen zu einer anspruchsvollen Aufgabe geworden. Von innen ließ sich die Eisentür nicht gut halten, und sobald man einen bestimmten Winkel überschritt, riss sie einem der Wind mit gewaltiger Kraft aus der Hand und ließ sie unter gewaltigem Scheppern auf dem Steinboden aufsetzen. Wir hätten eine Kamera dabei laufen lassen müssen, wie jeder von uns mit maximaler Konzentration millimeterweise die Tür öffnete, um schließlich den Zug zu spüren, sich mit Panik in den Augen an ihr festzukrallen und wenn es gut ging so weit zu öffnen dass man schnell hinausschlüpfen konnte um sie anschließend sofort wieder vorsichtig zu schließen.
Das war herrlich in der Nacht, zu hören was draußen los ist und in dieser kleinen, sicheren Hütte zu liegen. Ich war so dankbar, nicht in einem Zelt zu schlafen!
Woran man merkt, dass man voll im Wandermodus ist:
- Man sucht seine Klamotten morgens nicht nach Optik, sondern mit der Nase heraus. Was am wenigsten stinkt, kann angezogen werden. Wenig stinken ist dabei relativ.
- Ohne mit der Wimper zu zucken steigt man in einen Gebirgsbach um sich zu waschen. Bei einstelliger Gradzahl und Wind. Ein Gebirgsbach, mit eiskaltem Wasser! Wir müssen verrückt gewesen sein.
- Man sehnt sich nicht mehr nach Geld, Macht, Ruhm und Ehre, sondern einem Mülleimer, warmem Wasser, einem Döner und Mutti. In der Reihenfolge.
- Das Laufen ohne Rucksack fühlt sich an wie eine große Schummelei. Man lässt sich lieber nicht dabei erwischen.
- Wenn einem auf dem Weg zwei andere Wanderer begegnen, hat man das Gefühl dass es so langsam voll wird in dieser Gegend. Schnell weiter.
- Man grüßt die Kühe am Wegesrand ( - "Moin.")
- Man unterhält sich mit wildfremden Menschen darüber, woher man kommt, wohin man geht und wie die Hütte war, in der man übernachtet hat. In Berlin ist mir das noch nie passiert.
- Jedes Essen schmeckt gut und alles kann miteinander kombiniert werden. Spaghetti? Lecker! Dazu Waldpilzcremesuppe? Na klar! Ein paar Scheiben Schmelzkäse dazu? Unbedingt! Das Ganze mit Salamistückchen verfeinern? Sofort! Ein Schuss Öl noch dran? Na klar! Und was darf am Ende nicht fehlen? Kräuter der Province! Wow, ein Festmahl.