Sonntag, 27. September 2015

Andorra Teil II - Mittendrin

Tag 3 - Montag ca. 12,15km, 737m hoch, 951m runter


Es war Morgen, die Sonne schien. Das Zelt stand noch.
Ich sparte es mir, auf einen Felsen zu klettern um den Sonnenaufgang zu beobachten und fotografieren, das gab ich an Max ab. Aber als ich irgendwann wirklich wach war ging es mir blendend. Wirklich! Die Grippe muss irgendwann beleidigt abgezogen sein, nachdem ich ihr nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Ich war wieder klar im Kopf, der Hals tat kaum noch weh, in den nächsten Tagen blieb nur noch der Schnupfen und ab und zu Nasenbluten. Nichts mehr, was einen wirklich hindert.
Ein paar Sonnenstrahlen machen so einen Unterschied. Natürlich waren unsere Finger immer noch klamm und taten weh und kurz nach dem Aufstehen hatte man alle möglichen Pullover und Jacken an. Trotzdem wärmte die stärker werdende Sonne und verbreitete gute Laune. Frohen Mutes schaufelte sich jeder sein Frühstück rein.
Aus dem Frühstück kann man übrigens eine echte Wissenschaft machen. Jeder ist mindestens genauso stark davon überzeugt, dass er selbst die perfekte Mahlzeit in den Händen hält wie davon, dass alle anderen es völlig falsch machen. Die Notwendigkeit, Platz und Gewicht zu sparen, gleichzeitig aber genug Energie zu sich zu nehmen, treibt ganz skurile Blüten. Z.B. dass sich jemand des Morgens ausschließlich von "Belvita Frühstückskeksen" ernährt, so einer kleiner Packung à 5 Stück. Die verschwindet innerhalb einer halben Minute, woraufhin beteuert wird, man sei "total satt". Junge, das glaubt dir kein Mensch! Nein, auch nicht wenn du Honig draufschmierst.
Andere greifen zum beliebten Vollkornbrot. Besser, aber natürlich noch längst nicht ideal. Das wirklich Wahre ist Babybrei. Mit Müsli. Hat sich ja letztes Jahr schon bewährt, und da kann mir niemand was erzählen. Kompetent zusammengerührt ergibt das eine extrem zähe und süße Pampe, danach könnte man Bäume ausreißen, auf jeden Fall aber Gipfel erklimmen.
Die Jungs wollten mir das nicht glauben, aber ich denke sie waren insgeheim doch sehr neidisch.
Nachdem sich also jeder auf seine Weise gestärkt hatte und alle Zelte flugs wieder abgebaut und verstaut waren schritten wir schwungvoll aus und genossen den Sonnenschein, der uns den ganzen Tag begleitete.

Neue Erfahrung: wandern bei strahlendem Sonnenschein

Nachdem wir durch ein um die Jahreszeit komplett verlassenes Skigebiet gewandert waren kamen wir kurz vor Mittag durch einen kleinen Ort.

Ein Skigebiet und kein Mensch da

Da eben keine Skisaison war, war dieser Ort auch ziemlich verlassen, aber eine kleine Tankstelle war offen. Wir müssen alle noch einen kleinen Ossi in uns schlummern haben, denn in der Wüste der völligen Konsumfreiheit klammerten wir uns an diesen winzigen Strohhalm in Form einer Tankstelle mit Snackangebot. Wow, Leute, hier kann man was kaufen!! MÜSLIRIEGEL! Und Salami. Und Bier. Schnell!
Zu viert verübten wir einen Tankstellenüberfall mit Geld. Es gab nur zwei kleine Regale, und eins war voller Alkohol und Zigaretten. Hat uns in diesem Fall nicht interessiert und so kauften wir beinahe alles, was das zweite Regal hergab. Man weiß ja nicht, wann man mal wieder etwas kriegt! Ich hatte nur ein bisschen Pech, dass der freundliche Kassierer keine 5€-Scheine und nichtmal mehr 2€-Stücke hatte. Das Wechselgeld auf 20€ hat er mir komplett in Münzen gegeben. Wenn andere Leute vor der Reise ihre Zahnbürste absägen, um Gewicht zu sparen, könnt ihr euch vorstellen dass das gar nicht so lustig war! Aber mittlerweile war der Rucksack auch schon leichter geworden, das konnte meine Laune nun auch nicht mehr verderben.

Von da unten sind wir hergekommen!


Abends kamen wir wieder an einer Hütte an, und dieses Mal waren wir sogar allein dort! Zumindest, was Mitmenschen angeht. Ansonsten waren wir von einem Haufen Kühe umringt, die fröhlich bimmelten und den Boden der ganzen Gegend großzügig düngten. Jeden Schritt außerhalb der Hütte setzte man deshalb besonders bedächtig, was manchmal aber auch nicht mehr half.
Bei der Waschfrage ließ ich die Jungs vorgehen und sich eine geeignete Stelle suchen. Sie kletterten ein wenig nach oben, in den Schatten der Berge und froren sich dort sicherlich einen ab. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung und fand den herrlichsten Waschplatz überhaupt. Bei mir schien die Sonne, eine Brücke überquerte den Bach und diente als Ablage für Brille und Shampoo, der Boden war etwas moosig auf dass ich mir nicht meinen Fuß an einem spitzen Stein stoße. Es war immer noch eine Überwindung und schweinekalt sich dort zu waschen, gleichzeitig aber auch richtig schön. Entferntes Glockengeläut der Kühe, ansonsten nur das Rauschen des Baches, weit und breit kein Mensch zu sehen, goldenes Licht der Abendsonne und das alles am Ende eines richtig guten Tages. Ich schwebte förmlich zurück zur Hütte.

Tag 4 - Dienstag ca. 11,18km, 1.000m hoch, 1.020m runter

 

Der vorletzte Wandertag! Ich freute mich darauf.
Nach Aufbruch stapften wir zielstrebig im Gänsemarsch über die Brücke, die mir am Tag zuvor noch beim baden assistiert hatte. 10 Minuten später kamen wir aus der anderen Richtung wieder und überquerten die Brücke nochmal im Gänsemarsch. Wir hatten uns ein bisschen verrannt, es kam uns aber schon nach kurzer Zeit komisch vor, dass es so angenehm bergab ging. Also Kurs korrigiert und zielstrebig in die entgegengesetzte Richtung!
Es war etwas neblig, was hervorragend zu der noch raueren Landschaft als vorher passte. Wir kletterten über weite Steinfelder und kamen uns mal wieder vor wie die einzigen Menschen auf diesem Planeten. Nur dass an einer kritischeren Stelle eine Eisenkette an der Wand angebracht war, erinnerte an den Rest der Menschheit. Habe ich schon einmal erwähnt, wie sehr ich solche Gegenden liebe?

Rau und charmant, diese Gegend


Über den Tag nahm der Wind immer weiter zu. Und wenn Wind nach etwas klingt, was einen im Wesentlichen nicht weiter stört, dann schreibe ich lieber Sturm. Denn seit Sonntag wurde man ja immer wieder mal an bestimmten Stellen von den Böen richtiggehend umgeworfen. Besonders gerne an steilen Aufstiegen oder Gratwanderungen mit steilen Abhängen auf beiden Seiten. Jedenfalls waren wir sehr froh, als wir abends eine Hütte erreichten, die wir dieses Mal mit einem Australier und einem Belgier teilten und die dieses Mal von jeder Menge Pferden, ebenfalls mit Glocken um den Hals, umringt wurde. Die düngen übringes mindestens genauso gut und es war dieses Mal noch aussichtsloser, sich außerhalb der Hütte trockenen Schuhs zu bewegen. In den ein oder anderen Haufen versank man noch wesentlich tiefer, als einem lieb gewesen wäre.
Beim abendlichen Waschen entwickelte ich endlich eine Taktik um die Leiden dabei zu halbieren: erst oben waschen und schnell wieder alles anziehen, dann die Beine waschen und den Rest schnell anziehen. Schon bietet man dem Wind viel weniger Angriffsfläche! Die Haut an meinen Fersen löste sich mittlerweile in Streifen ab und meine Pflaster waren alle aufgebraucht, um ein Loch im Rucksack zu flicken. Glücklicherweise reist man ja nicht allein und mein freundlicher Wanderkollege stattete mich mit Blasenpflastern aus.
Dann wurde wieder ein raffiniertes Abendessen gekocht, aus erlesenen Zutaten. Also allem, was man in den Rucksäcken noch so findet. Einzigartiger Geschmack. Das Geheimnis? Kräuter der Province! Aber nicht zu wenig.
MIttlerweile war das Türöffnen und Hütte betreten oder verlassen zu einer anspruchsvollen Aufgabe geworden. Von innen ließ sich die Eisentür nicht gut halten, und sobald man einen bestimmten Winkel überschritt, riss sie einem der Wind mit gewaltiger Kraft aus der Hand und ließ sie unter gewaltigem Scheppern auf dem Steinboden aufsetzen. Wir hätten eine Kamera dabei laufen lassen müssen, wie jeder von uns mit maximaler Konzentration millimeterweise die Tür öffnete, um schließlich den Zug zu spüren, sich mit Panik in den Augen an ihr festzukrallen und wenn es gut ging so weit zu öffnen dass man schnell hinausschlüpfen konnte um sie anschließend sofort wieder vorsichtig zu schließen.
Das war herrlich in der Nacht, zu hören was draußen los ist und in dieser kleinen, sicheren Hütte zu liegen. Ich war so dankbar, nicht in einem Zelt zu schlafen!


Woran man merkt, dass man voll im Wandermodus ist:

  • Man sucht seine Klamotten morgens nicht nach Optik, sondern mit der Nase heraus. Was am wenigsten stinkt, kann angezogen werden. Wenig stinken ist dabei relativ.
  • Ohne mit der Wimper zu zucken steigt man in einen Gebirgsbach um sich zu waschen. Bei einstelliger Gradzahl und Wind. Ein Gebirgsbach, mit eiskaltem Wasser! Wir müssen verrückt gewesen sein.
  • Man sehnt sich nicht mehr nach Geld, Macht, Ruhm und Ehre, sondern einem Mülleimer, warmem Wasser, einem Döner und Mutti. In der Reihenfolge.
  • Das Laufen ohne Rucksack fühlt sich an wie eine große Schummelei. Man lässt sich lieber nicht dabei erwischen.
  • Wenn einem auf dem Weg zwei andere Wanderer begegnen, hat man das Gefühl dass es so langsam voll wird in dieser Gegend. Schnell weiter.
  • Man grüßt die Kühe am Wegesrand ( - "Moin.")
  • Man unterhält sich mit wildfremden Menschen darüber, woher man kommt, wohin man geht und wie die Hütte war, in der man übernachtet hat. In Berlin ist mir das noch nie passiert.
  • Jedes Essen schmeckt gut und alles kann miteinander kombiniert werden. Spaghetti? Lecker! Dazu Waldpilzcremesuppe? Na klar! Ein paar Scheiben Schmelzkäse dazu? Unbedingt! Das Ganze mit Salamistückchen verfeinern? Sofort! Ein Schuss Öl noch dran? Na klar! Und was darf am Ende nicht fehlen? Kräuter der Province! Wow, ein Festmahl.


Freitag, 25. September 2015

Andorra Teil I - Ein schwerer Anfang

Nachfolgend ein sehr subjektiver Reisebericht unserer Wandertour zu sechst durch Andorra, von der wir vor einer Woche zurückgekommen sind. Es war aufregend, lustig, anstrengend und großartig!

Anreise - Freitag und Samstag


Es fing alles in Atlanta an, als ich in der Schlange vor der Ausweiskontrolle extreme Kopfschmerzen hatte. Ich schob es auf den ganzen Reisestress und warf mir eine halbe Tablette ein (etwas, was ich immer so lang es geht vermeide!). Außerdem trank ich so viel Wasser wie ich konnte (Atlanta hat nicht nur freies Wlan, sondern auch jede Menge Trinkwasserspender - toller Flughafen). Beim Landanflug auf Amsterdam hatte ich dann dermaßen starke Ohrenschmerzen, dass ich mich auf meinem Stuhl wand und mir die Tränen übers Gesicht gelaufen sind. Das Gleiche war beim Flug nach Tegel los, aber für den restlichen Freitag war ich so glücklich, wieder bei meiner Familie zu sein, und hatte so viel im Kopf, was die Reise am nächsten Tag anging, dass ich mir keine Gedanken mehr darüber gemacht habe.

Als dann mein Wecker am Samstag um 3:45 Uhr klingelte dämmerte der Morgen noch lange nicht, aber mir langsam dass ich mir eine fette Grippe zugezogen hatte. Halsschmerzen, Kopfschmerzen, ein Gefühl von noch mehr Tüdeligkeit im Kopf als sonst, Schnupfen, Gliederschmerzen. Perfekte Voraussetzungen für eine Wandertour.
Aber mir da jetzt in meine Pläne reinpfuschen zu lassen kam ja gar nicht in die Tüte. Ich hatte mich schon seit Wochen darauf gefreut. Außer, dass ich mir noch schnell ein paar Hustenbonbons und Teebeutel schnappte, ließ ich mich nicht weiter beirren, machte mich fertig und los gings. Nochmal kurz zurück, um meinen Schal zu holen. Nochmal kurz zurück, um das graue T-Shirt, das in der Hektik der Schal hätte sein können, zurückzulegen und wirklich den Schal zu holen. Nochmal kurz zurück weil beim rennen auf dem Weg etwas Schwarzglänzendes lag und sich das als mein aus der Tasche gefallenes Handy entpuppte.
Und dann wirklich los. Eine dreiviertel Stunde Autofahrt und die ganze Zeit fragte ich mich, ob ich im Begriff war etwas wirklich Dämliches zu tun und am Ende auch den Jungs ihre Wanderung zu versauen.
Am Flughafen habe ich mir eine halbe Tablette eingeschmissen und dann den Rucksack aufgegeben. Nun ging es wirklich nicht mehr zurück!

Im Flugzeug versuchte ich mit jeder Menge sehr ulkigen Manövern, die durch den Druckunterschied entstehenden Ohrenschmerzen zu vermeiden. Also gähnen, schlucken, Nase zuhalten und dagegen atmen ... Was sicherlich für Unbeteiligte extrem komisch aussah, hat mir immerhin einigermaßen geholfen.
Den Rest der Anreise schlief ich viel, später auch im Reisebus von Barcelona nach Andorra. Dann stieg ich dort aus, wo ich die Hauptstadt Andorra La Vella vermutete und lag richtig - meine Wandergruppe (die fünf Jungs waren mit dem Auto angereist und zwei Tage vorher schon losgelaufen) war schnell gefunden und dann konnte es richtig losgehen.

Tag 1 - ab Samstag Nachmittag


Wir hielten uns gar nicht mit Geplänkel auf sondern fingen sofort an, aufzusteigen. Ich hatte zwar ein bisschen Pudding in den Beinen und fing auch ziemlich direkt an, mir an den Fersen Blasen zu reiben, hatte gleichzeitig aber so viel zu erzählen, dass ich das gar nicht richtig gemerkt habe. Ich textete Max ununterbrochen zu während wir der Zivilisation Stück für Stück entstiegen und schon bald umgeben waren von herrlichster Natur. Ab und zu regnete es kurz, aber da wir für diesen Tag eine Hütte anvisierten machte uns das nicht allzu viel aus.

Lauschige Natur und etwas Regen


Am frühen Abend erreichten wir dann auch unser "Refugio", waren aber nicht allein. Zwei Männer hatten sich vor uns dort breit gemacht und im Lauf des Abends kamen immer mal wieder ein paar Leute dazu, sodass wir am Ende zu zwölft in zwei Räumen waren, die für die vorgesehenen Acht schon eng gewesen wären. Aber wir rückten alle zusammen und störten uns nicht. Vor der Hütte floß ein Bach, in dem man sich gut waschen konnte und bei von den beiden Männern gesponsortem Teelichtschein verspeisten wir unser Abendbrot, ließen dabei außerdem zu Ehren von Max' Geburtstag Wein aus der Plastikflasche die Runde machen.
Des Nachts konnte man beeindruckend lautem Schnarchen lauschen, außerdem stolperten kurz vor eins mit viel Taschenlampenlicht drei der anderen Gäste in ihre Betten, aber ich schlief trotzdem ganz gut.


Unser erstes Refugio

Tag 2 - Sonntag ca. 14km, 1.100m hoch, 646m runter


Ales andere als gut war mir am nächsten Morgen - eher schwindlig und mächtig schlecht. Der zweite Tag soll immer der schwerste sein. Egal: raus, Zähneputzen, kaltes Müsli reinschaufeln, Schlafstätte einpacken und dann los. Auf zu neuen Ufern und Berggipfeln.

Es geht weiter ...

Die Landschaft war wunderschön, aber irgendwie jeder Schritt sauschwer und mit Schweißausbrüchen verbunden, dabei ging es noch nicht einmal bergauf. Es war tatsächlich der schwerste Tag und am Nachmittag gab es auch noch einen mächtigen Aufstieg bei starkem Wind.

... und immer weiter

Von Anfang bis Ende der Tour schimpfte ich über die Leute, die sich diese Wege ausgedacht haben, die schnurstracks nach oben gehen. Schonmal was von Serpentinen gehört, die das alles erträglich machen würden?! Nein, da wird hämisch eine Markierung nach der anderen so auf die Steine aufgetragen, dass es nur eine Richtung gibt: hoch! Und das bei einer Steigung die bei Treppen schon nicht mehr schön wäre. Hier allerdings ohne gleichmäßige Stufen sondern immer mal wieder durchsetzt von einem Riesenabsatz, der auch die letzte Energiereserve sofort leert. Man ist, oder ich bin da wirklich oft am Limit gewesen und dachte "Jetzt geht es definitiv NICHT mehr!". Aber das ist ein Trugschluss, man schafft immer noch den nächsten Schritt und den nächsten. Hilfreich ist es, nicht nach oben zu schauen und zu sehen, was da noch alles so kommt - sondern ganz stoisch nur auf den Boden zu starren und sich Meter um Meter vorwärts zu kämpfen. Das Ganze ja übrigens noch mit 12-14kg Gepäck, bei den Jungs mehr.
Aber so ätzend und anstrengend das ist, so herrlich ist es auch. Sich so komplett auszupowern, zu schnaufen, zu schwitzen, mit dem Berg zu ringen und ihn schließlich zu überwinden und oben mit einer grandiosen Aussicht belohnt zu werden (falls es nicht gerade neblig ist) - dafür macht man solche Reisen anstatt sich irgendwo an den Strand zu legen. Zusammen mit der Einsamkeit, die in diesen Gegenden herrscht die man nur über lange Fußmärsche erreicht. Das sind raue, steinige Landschaften in denen man maximal das Rauschen eines Gebirgsbachs oder das Pfeifen von Murmeltieren hört. Voll mein Ding.

Jedenfalls standen wir schließlich oben, auf knapp 2900 Metern Höhe, und es war die beste Aussicht die sich uns auf dieser Tour bieten würde. Die Sonne schien und wir haben in jede Richtung imposante Bergmassive bestaunen können. Der Wind pfiff uns mächtig um die Ohren, trotzdem saßen wir eine ganze Weile dort und haben es einfach genossen.

Ganz oben und krasse Aussicht

Wir ahnten ja nicht, was noch kommen würde - "nur noch den Berg runter und dann dort im Tal einen Zeltplatz suchen".

Und wieder runter!

Ich war ja schon am Vormittag fix und fertig. Der Abstieg war auch anstrengend, bei rutschigem Geröll, vor allem für die Knie. Aber in diesem Tal war einfach kein geeigneter Platz für drei Zelte zu finden! Wir liefen und liefen, hatten Hunger, waren müde, irgendwann fing es auch noch an zu regnen. Die Stimmung war so ziemlich am Boden. Das nächste Dorf, mit Hotels und Pensionen, war unerreichbar weit weg. Ebenso die nächste Hütte. Und es bleibt ja auch nicht ewig hell.
Also Krisensitzung. Zweimal strömten wir von einem Ort in jede Richtung aus und kletterten auf höhere Punkte im Gelände, um zu sehen ob sich irgendwo ein geeigneter Platz finden würde. Aber es war alles steinig, sumpfig oder viel zu abschüssig.
Bis wir ganz unverhofft direkt neben dem Weg ein perfektes Plateau fanden, mit genügend Platz für alle, schönem Gras und Unebenheiten in erträglichem Maß. Außerdem hatte es auch noch aufgehört zu regnen. Also konnten wir die Zelte aufbauen und anfangen zu kochen. Mich packte dabei der Schüttelfrost. Ich habe so sehr gefroren! Die Sonne war weg, die Luft feucht und kühl und irgendwann hatte ich schon alles an, was der Rucksack hergab. Auf grundsätzlichste Hygiene wollte ich auch nicht verzichten, deswegen stieg ich noch in den Bach, der neben den Zelten langfloss. Mir war so KALT! Ich hüpfte so schnell wieder in meinen Pullover dass ich nichtmal am Handtuch Zwischenstation machen konnte. Ich hatte noch nie so gefroren. Ich verkroch mich dann sofort in meinen Schlafsack und zitterte und zitterte, dass das ganze Zelt gewackelt haben musste. Meine lieben Wanderkollegen brachten mir ein Schlückchen Feuerwasser vorbei, aber gegen meinen Schüttelfrost half gar nichts mehr. Irgendwann schlief ich halb, aber der Wind zerrte mächtig an unseren Zelten und zwischendurch regnete es auch nicht zu knapp. Nach den Erlebnissen des letzten Jahrs war ich die ganze Nacht in Alarmbereitschaft und wartete darauf, irgendwann rauszumüssen und das Zelt wiederaufzubauen.
Wie alle Nächte ging auch diese vorbei.


Fünf fiese Feinde des Wanderers

  • Blasen
    Machen jeden Schritt noch ein bisschen qualvoller und nichts, was man dagegen tun kann. Immer ein kleiner, oder auch mal größerer, Nadelstich in die Fersen. Fieser geht es eigentlich kaum.
  • Regen
    Erst muss man ganz fix seine Regenjacke hervorkramen und den Regenüberzug über den Rucksack klemmen. Dann wird der Boden immer rutschiger, man kann sich nirgendwo mehr hinsetzen und die Stimmung sinkt in rasantem Tempo. Man fragt sich, ob es bald aufhört oder man die Zelte im Nassen wird aufbauen müssen ... Dann wird es gefühlt immer kälter und ekelhafter. Ich bin sehr dankbar, dass wir nur wenig Regen abbekommen haben.
  • Wind
    Solche Böen wie bei unserer Wanderung sind mir noch nie begegnet. Die haben einen tatsächlich umgeblasen, mindestens aber so zur Seite gefegt, dass man seinen Kurs mit drei zusätzlichen Schritten korrigieren musste. Nervtötend, wenn man gerade einen Gipfel erklimmt und so zusätzlich Kraft verschwendet! Im Zelt fragt man sich dann, wieviele Böen die Seile noch aushalten oder ob man bald in die kalte Nacht rausmuss, um irgendetwas zu retten.
  • Grippe
    Man braucht alle Kraft, die man hat um vorwärts zu kommen, und wenn dann eine Grippe die Hälfte dieser Kraft in Anspruch nimmt, sieht man echt alt aus. Wahrscheinlich sollte man mit einer Grippe gar nicht erst anfangen, zu wandern.
  • Tagesausflügler und Wochenendgäste
    Sie sind sauber und gut aussehend, wandern schwungvoll und mit einem blitzenden Lächeln im Gesicht und, was das schlimmste ist, sie tragen ein Rucksäckchen das höchstens ein Drittel von dem wiegt, was man selbst auf dem Buckel trägt, dafür aber gefüllt ist mit kulinarischen Genüssen. Die absolute Höhe ist es, wenn der "alte Mann", der mit uns auf der ersten Hütte übernachtete, für eine Zigarette verschwindet und uns dann 20 Minuten nachdem wir aufgebrochen sind, grinsend und tiefenentspannt rauchend mitten im Wald begegnet, als wir vom Aufstieg schnaufend um die Ecke biegen. Zuviel Kraft oder was?!

Fünf feine Freunde des Wanderers

  • Müsliriegel
    Und Essen jeglicher Art, am besten hochkalorisch. Wer sich den ganzen Tag bewegt, kommt nicht mehr auf die Idee, an Zucker oder Fett zu sparen. Und wenn sogar ich das sage, dann ist es schon arg. Aber man verbraucht so unglaublich viel Energie. Manchmal ist so eine Zwischenmahlzeit außerdem nicht nur Energiezufuhr, sondern auch Stimmungsaufheller. Wenn sonst alles scheiße ist, mit Schokolade oder anderem zuckrigen Zeug zusammengepappte "Cerealien" in handlicher Riegelform schmecken immer. Darüberhinaus entsteht auf dem Berg ein blühender Tauschhandel. Mit Geld kann hier niemand mehr etwas anfangen, aber wer eine besonders leckere Sorte Müsliriegel hat ist sozusagen King. Quasi der 500€-Schein waren die "Sahneschnittchen" von Viba. Ich habe sie nicht probiert, aber sie müssen wohl fantastisch sein und wurden ganz sicher nicht mit jedem  herkömmlichen Schokoriegel getauscht!
  • Wegmarkierungen
    Ständige Begleiter. Oft gefällt einem nicht, wo sie sind, nämlich immer ein Stückchen weiter oben als man selbst, aber sie weisen einem doch zuverlässig den Weg zur nächsten Hütte, oder zurück in die Zivilisation. Man muss nur noch laufen und nicht mehr denken - das gefällt mir ausgesprochen gut.
  • Hütten
    In der Landessprache Refugios genannt. Die meisten sind unbewirtschaftet und bestehen aus 1-2 Räumen, einem Ofen und 3-4 Doppelstockbettgestellen aus Metall. Sie sind weder 100%ig sauber noch wirklich gemütlich, aber man freut sich so, darin schlafen zu können wenn das Wetter draußen richtig ungemütlich wird. Ein festes Dach und echte Wände um einen herum sind so viel wert!
  • Funktionsklamotten
    Ja, ich gestehe, ich habe mich jahrelang lustig gemacht über den Globetrotter-Look. Alles schlabbert, alles in Brauntönen, alles potthässlich, dafür aber schweineteuer. Möglicherweise war diese erste Einschätzung nicht komplett richtig. Es hat durchaus was, wenn ein Pullover wärmt oder eine Jacke den Wind abhält. Die Sachen sind dann auch noch "ultralight" und immer irgendwie raffiniert zusammenfaltbar sodass sie am Ende ungefähr einen Fingerhut an Volumen im Rucksack belegen. Sowas Ausgeklügeltes gibts bei H&M nicht. Trotzdem werde ich mich im normalen Leben weiterhin an funktionsarme und optisch ansprechende Kleidung halten. Wenn der Ernstfall kommt, schnorre ich wieder bei Mutter. Praktisch, oder?
  • Die Berge
    Berge haben nur einen Nachteil - sie sind hoch. Ansonsten, und gerade deswegen, sind sie herrlich. Einsam, wunderschön, mit traumhaften Aussichten. Es muss ja einen Grund dafür geben, dass man sich so anstrengt. Und es lohnt sich wirklich. Ich sehne mich jetzt schon wieder zurück nach den Bergen, nach dieser Welt die so komplett anders ist als der Alltag den man sonst hat. Kein Lärm, keine schrillen Farben, keine Verpflichtungen, kein Geld, kein Gegeneinander oder Nebeneinander sondern nur ein Miteinander. Für Immer wäre das natürlich nichts, das würde man nicht aushalten. Aber als kurzes Kontrastprogramm, kurzes Auftauchen um wieder bewusst und mit offenen Augen in das moderne Leben einzutauchen ist es perfekt. Nur zu empfehlen

Dienstag, 22. September 2015

Der Mensch denkt und Gott machts anders

Nun bin ich auch von meiner zweiten aufregenden Reise zurück, aber den Bericht dazu gibt es heute noch nicht. Dafür eine andere, auch ganz interessante Geschichte.

Es gibt da dieses Deutschlandstipendium. Das ist unabhängig von Religion, politischer Einstellung, Studiengang o.Ä. Es ist eine Kooperation von Staat und Wirtschaft, wobei beide Teile jeweils die Hälfte des Stipendiums übernehmen. Das Geld wird nicht aufs Bafög angerechnet und muss nicht zurückgezahlt werden. Unterstützt werden sollen Studenten, die gute Noten haben und sich sozial engagieren, einige andere Faktoren spielen untergeordnet auch noch mit hinein.

Über das alles habe ich mich schon vor vielen Monaten informiert. Die HTW vergibt dieses Stipendium auch, leider nur einmal im Jahr zum Wintersemester. Also musste ich warten, bis der diesjährige Bewerbungsprozess irgendwann im Frühjahr losging.

In der ersten Runde geht es nur um die Noten. Ich setzte also ein Häkchen, um zu veranlassen dass online überprüft wird, ob meine Noten im ersten Semester gut genug waren, und wartete. Ewig! Meine Kommilitonin bewarb sich auch, und erzählte mir, dass sie sich an der Hochschule hat beraten lassen und man ihr sagte, dass die Chancen so ein Deutschlandstipendium zu erhalten, ziemlich gut stehen. Letztes Jahr gab es mehr Stipendien als Bewerber - also hat jeder eins bekommen!
Je länger ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass meine Chancen tatsächlich ziemlich gut stehen.

Nachdem ich also irgendwann die Nachricht bekam, dass ich es durch die erste Runde des Auswahlverfahrens geschafft hatte, bemühte ich mich darum von der Berliner Obdachlosenhilfe ein Empfehlungsschreiben zu bekommen. Das dauerte zwar einige Zeit und ich musste mehrmals nachhaken, aber schließlich hatte ich so einen guten Wisch parat, dass die Bewerbung zu einer glasklaren Sache wurde. Ich engagiere mich sozial und bringe dabei auch noch das mit ein, was ich im Studium lerne - dadurch dass ich zur Zeit einen Flyer für die BOH erstelle. Besser geht es eigentlich gar nicht! Dazu noch die Tatsache, dass ich Bafög beziehe, und dass meine Eltern beide nicht studiert haben. Makellos, mustergültig.

Es ist etwas beschämend für mich, aber so war es - ich habe nicht mehr daran gezweifelt, ab Herbst eine ordentliche monatliche Finanzspritze zu erhalten. Was kann denn da noch schief gehen? Ich hatte mir schon genau überlegt, was ich mit dem Geld machen würde. Mir ein bisschen mehr Essensgeld gönnen. Die teuren Wanderschuhe, die ich mir vor dem Urlaub gekauft habe, hätte ich mit dem ersten Monat schon locker wieder drin gehabt. Im Herbst braucht man außerdem wieder neue Kleidung, das ist ja klar. Und zwar von Zara. Und ja, Gott, ich spende auch was! Ich werde Max in das türkische Restaurant einladen, an dem wir ständig vorbeigehen und wo die Sachen immer so lecker aussehen, die die Gäste draußen auf ihren Tellern haben. Ich werde auch die ganze Familie zu einem richtig schönen Eisbecher einladen. Nicht in Bernau, in Berlin, in einer richtig coolen Eisdiele! Außerdem habe ich ja diesen Perfetto bei mir am Hermannplatz, so einen Feinkostladen. Da werde ich mir mal so richtig gute Sachen gönnen, Müsli von Seitenbacher, und vielleicht sogar mal was von der Käsetheke.

Unschön, wie man sich da hineinsteigern kann und wieviel Raum man diesen Gedanken gibt, die sich nur um Geld und Konsum drehen. Wie die Tatsache, dass man mit Geld auch eine Menge tun kann, die nicht mir sondern anderen gut tun, nur vage und kurz bedacht wird.

Ich schickte also meine Bewerbung ab und flog nach Haiti. Ich hatte die Szene schon genau im Kopf, wie ich die Glückwunsch-e-Mail bekommen würde und wir das Ganze dann erstmal ein bisschen feiern würden. Ich konnte es gar nicht abwarten. Jeden Tag checkte ich die Mails ganz gezielt auf diese Nachricht.
Es kam die erste Woche nichts, und ich fragte mich, was denn da so lange dauern sollte. Die müssten doch völlig weggefegt sein von meinem Empfehlungsschreiben!
Die zweite Woche brach an und ich wurde richtig ungeduldig.

Ich machs kurz. Die e-Mail wurde nie abgeschickt. Mein e-Mail-Programm hat mich in letzter Zeit des Öfteren gelinkt, indem es e-Mails einfach verschluckte, ohne irgendetwas zu sagen. Ich sende Mails ganz normal ab und nur durch die fehlende Reaktion und schließlich einen Blick in den Ordner "Gesendet", in dem diese Mail nicht auftaucht, bemerkte ich überhaupt, dass nach dem Klick auf "Senden" und dem fertigen Ladebalken dazu die e-Mail nicht beim Empfänger landete, sondern im Nirgendwo.

Es war zwei Wochen nach Bewerbungsschluss. Mann Gott. Warum?!!

Ich habe meine Bewerung noch einmal abgeschickt, außerdem eine verzweifelte e-Mail an die Frau, die an der HTW dafür verantwortlich ist. Von beiden habe ich bis jetzt keine Antwort bekommen, nicht einmal die angeforderte Lesebestätigung. Die Sache ist durch. Wegen SOWAS!

Das Ganze ist so selten dämlich, dass es kein technischer Fehler sein kann. Bei dermaßen guten Aussichten am e-Mailprogramm zu scheitern, da muss etwas dahinter stecken. Ich verstehe es nicht und bin auch etwas beleidigt. Muss diese Lektion jetzt sein, was auch immer mir gelehrt werden soll?

Natürlich weiß ich, dass ein echter Grund dahinter steckt, und mittlerweile ist meine Enttäuschung zwar noch nicht verflogen, aber ich finde mich einigermaßen damit ab. Ein bisschen ist mir aufgegangen, wieviel ich von Geld abhängig mache und wie sehr ich mich da hineingesteigert habe.
Vielleicht kommt mir eines Tages die Erkenntnis und ich kann die Story meinen Enkelkindern erzählen, mit der Moral der Geschichte. Dass ich bei dem Nebenjob, den ich mir jetzt suche, den Mann fürs Leben gefunden habe. Oder Zara dann einstürzte, als ich dort einkaufen gewesen wäre. Oder Seitenbachermüsli mit Plastikteilchen verunreinigt ist. Oder sonst irgendetwas. Wer weiß. Es wird schon richtig sein, ne?