Samstag, 3. Oktober 2015

Andorra Teil III - Happy End

Tag 5 - Mittwoch, ca. 14,68km, 600m hoch, 1.400m runter


Der letzte Tag also. Uns blühte ein finaler, großer Aufstieg und dann nur noch der Weg zurück ins Tal.
Der Nebel holte uns doch noch ein. Wir stapften durch eine kalte, nasse, dicke Suppe bei unverändert starken Windböen. Es waren wirklich keine idealen Bedingungen, um noch einmal ziemlich weit nach oben zu stiefeln und so langsam war ich zumindest mit meinen Kräften auch am Ende. Man ist am Morgen noch nicht vollständig wiederhergestellt, wenn man sich nach einem komplett durchgewanderten Tag auf eine Metallpritsche legt um mit Krämpfen in den Beinen ein paar Stunden zu schlafen. Wenn man jeden Tag mit ein bisschen weniger Kraft anfängt, ist man am Ende ganz schön am schnaufen. Um es positiv zu sehen, das ist ein weiterer Vorteil des Wanderurlaubs: während einen bei allen anderen Urlauben gegen Ende immer eine gewisse Wehmut überfällt und man sich eigentlich wünscht, es würde ewig so weitergehen, ist man bei einer Wandertour doch ziemlich froh, wenn das Ganze dann mal zum Ende kommt. Einfach nur im Auto sitzen, sich fortzubewegen ohne etwas zu tun - das kam mir traumhaft vor, während ich mal wieder gegen Wind, Erdanziehung und mich selbst kämpfte. Neben dem innerlichen (bitterbösen) Schimpfen genoss ich es aber, so wie in den Tagen zuvor. Es war wieder eine ganz neue Stimmung, die sich da für uns auftat - noch ein bisschen ungemütlicher, auf jeden Fall unheimlich und möglicherweise ein bisschen gefährlich durch den unberechenbar starken Wind. Eine schaurig schöne Erinnerung für später, wenn man wieder in der warmen Wohnung sitzt.

Ungemütlich
Oben erlebten wir dann wieder so einen Konjunktiv-Moment, gut bekannt aus letztem Jahr: "wenn jetzt kein Nebel wäre, hätten wir ne krasse Aussicht auf den, den und den Berg". Da uns also nichts weiter aufhielt, machten wir uns relativ direkt nach dem Verschnaufen auf den Weg nach unten und auch dieses Mal kamen wir gut dort an, was ja nicht selbstverständlich ist sondern vor allem Bewahrung. Überhaupt, dass sich auf der ganzen Tour noch nicht einmal jemand den Fuß verknackst hat - eigentlich unwahrscheinlich. Danke Gott!

Bald im Tal
In einer sehr schicken Hütte aßen wir schon beinahe gesittet Mittag. Jeder verspeiste die Reste, die er in den Tiefen des eigenen Rucksacks noch so finden konnte, wir waren vom Wind geschützt und hatten (fast) alle einen warmen Kakao bestellt. Also - Kakao. Warm. Warmer Kakao! Außerdem gab es eine richtige Toilette, die sich keiner von uns entgehen lassen konnte, und einen Ofen der extra für uns noch einmal befeuert wurde. Wir waren die einzigen Gäste, füllten die große Stube aber bald zur Hälfte aus als wir uns stöhnend mit unserem Gepäck breit machten. Überfall der Hottentotten - die Wirtinnen nahmen es mit Gelassenheit und blieben freundlich. Vielleicht erleben sie so etwas öfter oder hatten einfach aufrichtiges Mitleid mit diesen geplagten Seelen.

Gestärkt, gesäuber, gepinkelt und gewappnet für die letzten Meter hatten wir die Hütte kaum verlassen, als sich auf einem Parkplatz gleich das nächste Highlight bot. Wir fielen quasi von einer Sensation in die nächste. Eine Mülltonne! Das Kruschteln und Rascheln nahm kein Ende, als jeder aus jedem Winkel seiner Kleidung und seines Rucksacks Verpackungen zu Tage förderte und Abschied von ihnen nahm. Als gute, umweltbewusste Bürger hatten wir natürlich alles mitgenommen, was auf der Tour an Müll anfiel. Da es auf den Hütten keine Mülleimer gibt und das gesamte Futter das man so mitnimmt (praktischerweise) meist einzeln verpackt ist, sammelt sich richtig was an. Es hätte auch ein emotionaler Moment werden können, sich von den Papieren zu trennen mit denen man so viel durchgemacht hatte. Die man unter Schweiß und Tränen über Gipfel und durch Täler trug, die bei jeder Bewegung knisterten wie ein guter alter Freund, der einem Mut zuspricht, die Erinnerungen sind an schöne Minuten in denen nur die Kaumuskeln angestrengt waren - sie wurden nun zurückgelassen, in diesem fernen fremden Land, gesellten sich zu Bananenschalen und ganz viel Konfetti (???) in der Tonne und gingen ihren weiteren Weg ohne uns, so wie wir ohne sie. Man könnte sich das überlegen und noch einen letzten, trauernden Blick zurückwerfen ...
Nicht wenn man mit 5 Jungs wandert. Klappe auf, Müll rein, Klappe zu. Weiter. Ok, dann halt nicht.

Da man bei so vielen Sensationen schnell abstumpft, entlockte es uns keine Jubelschrei mehr, wieder eine geteerte Straße, mehrere Häuser auf einmal oder Gardinen zu sehen. Wir liefen nur immer zügiger. Aber als wir dann da waren! Da wurden trübe Blicke klar, das aus tiefstem Herzen kommende Stöhnen der Leidenden wurde zu einem seligen Jauchzen, abgelatschte, schweinedreckige und stinkende Treter wurden abgestreift um gepeinigten Füßen und ihren Düften wieder Raum zu geben, Geigen spielten und Trompeten bliesen, alles erstrahlte in einem goldenen Licht ... oder so ähnlich. Auf jeden Fall machten wir uns über die Essenskiste her, zogen uns frische Klamotten an und waren glücklich.
Für den Abend suchten wir uns einen kleinen niedlichen Campingplatz in Andorra und zelteten wieder, was sich dieses Mal aber überhaupt nicht mehr unsicher, abenteuerlich oder primitiv anfühlte. Wir konnten unsere Rucksäcke über Nacht im Auto lassen und es störte kaum, dass es regnete. Wir kochten auch abends wieder eine dieser Mahlzeiten auf dem Campingkocher, die sich nun bewährt hatten (Kräuter der Province, janz wichtig) und aßen sie mit unserem multifunktionalen Besteck aus outdoorgeprüften ultralighten Spezialnäpfen. Trotzdem, wir waren zurück in der Zivilisation, fühlten uns entsprechend und konnten hinterher sogar warm duschen. Aus den drei oder vier Euro, die der Platz pro Person gekostet hatte, holte ich mit meiner Duschzeit das Maximum heraus. Selig lächelnd schlief ich in meinem klitschnassen Schlafanzug (die Dusche tropfte nicht nur auf mich sondern auch auf alles was ich in die Kabine mitgenommen hatte) extrem schnell ein.

Donnerstag - nur ganz viel geradeaus


Ich hatte am letzten Abend schon viel Luxus erlebt und alles in vollen Zügen genossen. Aber der absolute Kracher: ein frischer Kaffee, erstanden bei der sehr freundlichen Campingplatzchefin. Außerdem Müsli mit richtiger Milch (nichts gegen Babybrei, überhaupt nicht. Wirklich nicht. Das war keine falsche Entscheidung, mich nur davon ernähren zu wollen und nichts anderes mitzunehmen. Nein, nein) und einem echten Apfel.
Und dann machten wir uns auf den Weg - ans Meer!
Wenn man schon drei Tage Auto fährt, kann es auch ein bisschen Spaß machen. Und deswegen machten wir auf der Rückfahrt diesen Abstecher. Am einen Tag zitterten wir bei Nebel und Sturm auf 2.700m Höhe und stürzten uns am nächsten bei mindestens 20°C und strahlendem Sonnenschein in die Wellen im Mittelmeer. Es kam mir vor wie die Abschlußsequenz eines Roadtrip-Movies - zwischendrin gibts mächtig Drama, aber am Schluss ist alles gut. Ich sah vor meinem Auge förmlich die Credits ablaufen, von unten nach oben und bei irgendeiner heiteren Musik.
Happy waren wir, aber noch nicht am Ende. An diesem Tag war uns ein Bungalow vergönnt, und das bedeutete nochmal mehr Luxus,dass wir unsere Spaghettis von Tellern essen durften und zur Feier des Tages nicht eine, sondern zwei Weinflaschen die Runde machten. Prost!

Freitag - noch mehr geradeaus


Den nächsten Tag starteten Max und ich, indem wir barfuß am Strand joggen gingen, dem Sonnenaufgang entgegen. Wäre auch eine schöne Endsequenz für unseren Film gewesen.
Ab Mittag saßen wir wieder im Auto gen Heimat. Und ich fing schon an, mich zu fragen was ich an der Vorstellung den ganzen Tag nur im Auto zu sitzen gefunden hatte, als ich auf diesen herrlichen Bergen in der frischen Luft herumgelaufen war.
Der dritte und letzte Campingplatz, den wir abends ansteuerten, konnte niemandem mehr ein ehrfurchtsvolles Staunen entlocken, sorgte aber für eine ziemlich peinliche Szene als ich mich mit Max beim Abwasch lautstark unterhielt und dabei immer noch davon ausging, dass mich niemand Anderes verstehen würde. Und ich habe einen Hang zur großen Klappe. Der Typ, der stumm und ohne eine Miene zu verziehen neben uns abgewaschen hatte, kam später an unserem Nachtlager vorbei und bemerkte im Gehen: "Ich hab alles verstanden!" Wir nährten uns rasant der Heimat. Eigentlich ist man ja nirgendwo vor Deutschen sicher, wie ich hätte wissen müssen. Oder vor Deutschsprechenden. Mich hatte ja sogar in Port-au-Prince auf dem Flughafen ein Dunkelschwarzer mit prächtigem Rastazopf auf Deutsch angequatscht. Man könnte denken die Leute hätten nichts Besseres zu tun als sich mit dieser komplizierten Fremdsprache auseinanderzusetzen.

Samstag - endlich fertig geradeaust

Der dritte Tag der Autofahrt zog sich hin und wurde durch Staus und Umfahrungen zur Geduldsprobe. Auch dort vorbeizufahren, wo man 13 Jahre seines Lebens gewohnt hatte, war nur mittelinteressant, semispannend und halbaufregend.
Abends, um 19 Uhr landeten wir dort, wo eineinhalb Wochen vorher die Reise für die Jungs begann. Es dauerte einige Zeit, bis alle Gepäckstücke sortiert waren und sich jeder zu seinen Wanderschuhen bekannt hatte. Die waren in Tüten verpackt und seit Mittwoch nicht mehr beachtet worden. Von diesen steifen Schuhen, so gut sie auch vor Verletzungen feien mögen, habe ich erst einmal genug. Die Blasen gibts jetzt noch, die ich mir gerieben habe. Aus dem guten Vorsatz, die Schuhe zu Hause gut zu reinigen und zu pflegen ist bis jetzt noch nichts geworden. Zur Strafe.

Mir bleibt nur noch übrig zu sagen, dass ich in dieser Nacht so herrlich geschlafen habe wie lange nicht. Im Wohnzimmer bei Mutti und Papi, nebenan einen Mülleimer, die Klamotten und Schlafsäcke in der Waschmaschine, bei offenem Fenster weil mir warm genug dafür war, wiedervereint mit meinem Handy. Ich überlegte nur, wie lang es wohl dauern wird, bis ich das nächste Mal in den Bergen sein kann.

Sätze, die man auf unserer Wanderung ständig gehört hat

  • "Jetzt nen Döner!"
  • "Timon, wieviele Höhenmeter noch?"
  • "Wirst schon nicht zusammenklappen!"
  • "Wir sind tolle Typen."
  • "Wer wäscht heute ab?"
  • "Sind schon Kräuter der Province dran?"
  • "Guck mal, ein Murmeltier!"

 

Sätze, die man auf unserer Wanderung nie gehört hat/hören würde

  • "Also deine Socken riechen gut."
  • "Jetzt bin ich richtig satt."
  • "Ich hab heute Nacht total geschwitzt."
  • "Ich habe viel zu viele Müsliriegel eingesteckt. So viel kann ich ja gar nicht essen."
  • "Dein Outfit ist heute irgendwie nicht stimmig."
  • "Auweia, ich hab heute einen bad hair day."
  • "Ein bisschen Wind wäre jetzt erfrischend."
  • "Was machen wir denn heute noch so?"
  • "Jule, ich hätte wahnsinnig gerne was von deinem Babybrei. Tauschst du gegen Salami?"
  • "Endlich geht es mal bergauf!"