Dienstag, 31. Oktober 2017

Perlen der norwegischen Esskultur

* Achtung. Dieser Bericht ist für Menschen mit schwachem Magen und/oder starkem Vorstellungsvermögen nicht geeignet. *

Neulich beim Lunsj wurde ich gefragt, ob ich wohl das norwegische Essen vermissen würde. Ich verschluckte mich vor Schreck beinahe an meinem Knäckebrot und musste meine zwischen Lachen und Weinen hin und hergerissenen Gesichtszüge erst einmal hinter einem Wasserglas verstecken.

Im Land der alten Wikinger ist man nicht in der Lage, sich seinen eigenen Pudding zu kochen oder Kakao zuzubereiten, dafür gibt es beides im Tetrapack. Ein Volk, das für braten, kochen, backen, frittieren, zubereiten, ... jegliche Art, wohlschmeckende Gaumenfreuden zu schaffen nur ein einziges Verb kennt, nämlich "å lage", wen wundert es dass das keine kulinarischen Höhepunkte produziert?
In diesem Land gibt es, wenn es etwas Besonders sein soll - Taco, Pizza oder Hotdogs. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Pizza gegessen wie hier. Diese triefen meistens vor Fett und sind dick belegt mit allen möglichen, querbeet zusammengeschmissene Arten von Fleisch. Lasst das nicht mal einen Italiener sehen.

Hotdogs - wer dachte, dass es die primitiven Würstchen in schlabbrigem Brötchen mit Röstzwiebeln und sauren Gurken bei Ikea nur gibt, weil das die billigste Art und Weise ist, eine Mahlzeit anzubieten, liegt falsch. Dieses Essen ist tatsächlich Bestandteil der skandinavischen Kultur. Meine Kollegen bekommen glänzende Augen, wenn es an einem speziellen Freitag mal "Pølse-lunsj" gibt.  Ich bekomme schlechte Laune, denn sie ersetzen das normale Lunsj was aus wunderbarem, in echter Handwerksarbeit hergestelltem Brot (wir Deutschen haben tatsächlich kein Monopol darauf), körnigem Knäckebrot das weit entfernt ist von dem was wir unter WASA in Deutschland kaufen, jeder Menge Aufstrichen, Käse, Schinken, Gemüse usw. besteht. Ich erwähnte es schon einmal, das Lunsj im Büro ist super und immer das Highlight des Arbeitstages. Aber nicht mit Hotdogs, bzw. Lomper, der Alternative zu dem klassischen Brötchen. Ein Teigfetzen aus Mehl und Kartoffeln, sehr dünn und mehr oder weniger geschmacklos. Auch in diesen lässt sich das Würstchen wickeln und mit Zwiebeln bestreuen. Guten Appetit. Dazu wird Cola, Fanta und was es sonst noch so an Brausen zu finden gibt gereicht.

Generell gibt es in norwegischen Supermärkten recht wenig zu finden. Übersteigerter Patriotismus mit der felsenfesten Überzeugung, das nur was in Norwegen hergestellt wurde, wirklich gut sein kann, spiegelt sich in der mehr als übersichtlichen Auswahl wieder. Mein kapitalistisches Herz, das in einem riesigen Kaufland zwischen Regalen vollgepackt mit lächerlich vielen Alternativen zu jedem Produkt höher schlägt und genussvoll alle Varianten studiert bis es eine wohlbedachte Entscheidung trifft um dann zum nächsten Punkt auf der Einkaufsliste überzugehen, blutet hier bei "Rema", "Kiwi", "Meny" & Co. Wer sich aufmacht mit dem spannenden Vorhaben, Käse zu kaufen, steht vor dem Kühlregal und darf mehr oder weniger wählen zwischen zwei Herstellern von klassischem, "gelben" Käse in drei unterschiedlichen Abpackungen, mit gutem Sehvermögen können am Rande vielleicht noch einige importierte Exoten in Form von Camembert und Frischkäse erspäht werden. Das wars. Die Frage, welchen Käse du kaufst, stellt sich hier nicht. Trotzdem dauert der Prozess genau so lang, denn du fragst dich angesichts der Preise ob du wirklich Käse brauchst.
Als großer Fan von Joghurt treibt mir die Molkereiabteilung die Tränen in die Augen. Hersteller TINE ist allgegenwärtig, ansonsten hat kaum einer was zu melden. So finden sich hauptsächlich 4 Sorten Fruchtjoghurt und ein Naturjoghurt, der restliche Platz wird mit fertigen Milchreis- und Dinkelbrei-Packungen aufgefüllt. Du hast Lust auf Stracciatella-Joghurt? Pech. Kirsche? Pfirsich? Sorry. Eine Naturjoghurt mit 1,5% Fett statt den 3,5? Nö. Quark?! Vergiss es. Das sind Momente purer Verzweiflung.
Man überlebt ja trotzdem, auch ohne die Riesenauswahl. Aber nur knapp.

Eins möchte ich nicht unterschlagen (und die Norweger reiben es einem auch ständig unter die Nase): Die Qualität ihrer Produkte ist ausgesprochen gut. Die Milch z.B. schmeckt, und ist auch nach dem MHD noch ewig haltbar. Apropos Milch: hier rasten sie richtig aus. Milch kannst du haben mit 0,1%, 0,7%, 1,5%, 3,5% und 4,1% Fett, ökologisch und normal, laktosefrei und laktosereduziert, mit besonders viel Calcium als Styrkemelk oder als Kefir, und, zur Krönung, als Sauermilch, syrnet melk. Die versöhnt mich ein bisschen mit der Molkereiabteilung. Geschmack und Konsistenz sind dem Joghurt sehr ähnlich, es gibt sie pur und in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen. Was diese Milch sauer macht, sind viele unterschiedliche Bakterienkulturen, die sie nicht nur extrem lecker, sondern auch hochgradig gesund machen.


Bleiben wir bei den Molkereiprodukten und reden über den berühmten braunen Käse. Brunost, und schon Ingerid aus dem Norwegischkurs schwärmte davon. Was hatte ich mir nicht alles unter süßem Käse vorgestellt! Man kauft ihn als großen schweren Block und erhobelt sich dann mit dem eigens dafür vorgesehenen Werkzeug eine dünne Scheibe. Klassischerweise kommt die aufs Knäckebrot und mit eine Schicht Marmelade entsteht der zur Brotzeit gewordene Inbegriff des Norwegischen. Genauso ist es aber auch kein Affront, Gurken oder Tomaten drauf zu legen - den hiesigen Gaumen ist eh alles egal.
Und wie schmeckt das nun? Einfach mal nicht außergewöhnlich. Wie dieser billiger Schmelzkäse, den man typischerweise auf Toast Hawaii klatscht. Weder gut, noch außergewöhnlich schlecht. Warum Ingerid den bei jedem Heimatbesuch kiloweise nach Deutschland importiert - keine Ahnung.
Ist übrigens kein Brunost zur Hand, streichen sich die Norweger ihre Marmelade übrigens auf normalen Käse.

Pålegg, dieser weitgefächerte Begriff umfasst alles, was man sich auf sein Brot legen kann. Schinken, Käse, Aufstriche, Kartoffelsalat. Ja, Kartoffelsalat ist hier keine Beilage zu Bockwürstchen, sondern gehört auf die Stulle. Gar nicht so schlecht, habe ich mir eine Zeit lang auch so schmecken lassen. Bis es mir irgendwann doch nicht mehr so ganz geheuer war, dass jede Woche eine neue Büchse geliefert, die alten aber niemals verbraucht wurden und so irgendwann eine uneinsichtig hohe Menge offener Kartoffelsalate auf dem Lunsj-Tisch standen, von denen keiner wusste welcher wie alt ist. Russisch-Roulette, die Lunch-Version. Dafür fehlt mir der Mut.

Pålegg gibt es auch in Tuben, so Mayonnaise, Streichkäse und auch Kaviar. Was die Norweger unter Kaviar verstehen ist eine wurst-pinke, gut streichfähige Creme mit starkem Fischgeschmack und allerlei interessanten Zutaten, darunter eher wenige Fischeier. Die Sache schmeckt auf den ersten Bissen ok, wird dann aber schnell zu viel. Das erste einiger interessanter Fischprodukte.

Einige Wochen bin ich drum herumgeschlichen, irgendwann musste ich es wagen. Der schnelle Griff zum Fiskepudding, ehe ich es mir anders überlege, sehr teuer ist er zum Glück nicht. Und dann liegt er vor mir. Eine milchig-weiße Rolle in Teewurstform. Der Aufdruck verrät: Fiskepudding ist genau das, was der Name befürchten lässt. Pudding aus Fisch. Welcher und was davon ist eigentlich egal. Es wird sorgfältig vermixt und zusammen mit Sahne und Milch aufgekocht, dann mit Stärke, Kräutern und Stabilisatoren verrührt und schlussendlich in eine beliebige Form gepresst und kalt gestellt. Der freudige Endverbraucher kann sich den hart gewordenen Fischmix in Scheiben abschneiden.
Das Verrückteste an der Sache? Mir schmeckt es, auch wenn es eine sehr gewöhnungsbedürftige Form des Fisches ist, die einem da glibberig über die Zunge rollt. Und verdächtig billig.

Fisch, inspired by Wurscht.

Blass wie Schneewittchen, Fiskepudding aufs Schnittchen.
Sehr nah verwandt mit Fiskepudding sind Fiskekaker. Der Fischmix wird dafür in Bulettenform braun angebraten und schmeckt den deutschen Fleischhäufchen damit gar nicht mehr unähnlich.

In die selbe Familie gehören schließlich auch Fiskeboller. Wieder ein fröhlicher Mix aus diversen Fischen und -teilen, nun aber schwimmend in einer wässrigen Lösung und als Konserve verkauft. Auch eine solche Dose habe ich abenteuerlustig erworben, allerdings klassischerweise vergessen dass wir keinen Dosenöffner besitzen. Da meine letzte Begegnung mit einem solch gefährlichen Gerät auf der Rettungsstelle endete und mir bis heute ein Teil Gefühl im Finger fehlt, bin ich da gar nicht so traurig darüber. Die Fiskeboller fristen allerdings ein trübseliges Dasein im Vorratsregal.

Fiskepudding, -kaker und -boller sind zwar alles verrückte Darreichungsformen einfachen Fischs, aber absolut tragbar. Was nicht tragbar ist, ist Sild. Hering.
Mein Kollege und Schreibtischnachbar hat den Auftrag, neue Etiketten für einen Hering-Hersteller zu gestalten. Seit Wochen stehen palettenweise eingelegte Hering-Gläser auf der Arbeit in der Küche. Das hätte mich misstrauisch machen sollen. Stattdessen nahm ich mir eines Tages ein Glas mit und gedachte, mir ein schönes Reisgericht mit Fisch zu kredenzen.
Wie der Hering, bzw. die Heringteilchen, in ihrem Glas herumschwapperten, sieht es sehr viel mehr nach etwas aus, was in der Charité im Museum steht als nach etwas, was man zusammen mit Reis auf dem Teller haben will. Auch der probeweise Stups mit den Fingern machte nicht viel Mut. Glibbrig, weich, formlos. In meinem grenzenlos naiven Glauben daran, dass etwas das als Nahrungsmittel verkauft wird auch essbar sein wird, klatschte ich mir das Ganze schließlich auf den Teller.
Es war möglicherweise das Schlimmste, das ich jemals gegessen habe. Fisch ist in Ordnung. Aber dieser Fisch war so dermaßen süß!!! Ich hätte im Leben nicht für möglich gehalten, dass jemand dazu im Stande ist eine solche Rezeptur zu erschaffen, und das dann auch noch im großen Stil zu fabrizieren. Und damit beende ich diesen Absatz, denn um Sild angemessen zu beschreiben ist die deutsche Sprache gar nicht ausgelegt.

Der Einfallsreichtum um Fisch an den Mann, die Frau und das Kind zu bringen, ist grenzenlos. Ich stelle vor: Crab Nobs. Spektakulär günstig, diesmal aus der Tiefkühlabteilung, erneut eine undefinierbare Fischmasse, hier allerdings in einem spektakulären Rotton und in fingerförmigen Stücken. Auf gut Glück habe ich sie einfach mal für eine Weile in den Backofen gegeben, was dafür sorgte dass die Teilchen extrem hochgingen. Was auch immer da drin ist ...
Die Konsistenz ist wiederum ganz verblüffend, und zwar faserig. Gefühlt kaut man auf Muskelsträngen herum, und der Geschmack ist mir für Fisch wieder eindeutig zu süß, allerdings niemals so schlimm wie Sild. Kann man mal essen, muss man aber nicht wiederholen.



Fasrig, erinnert an Muskelstränge.
Um all diese Fischgeschichten schlussendlich noch etwas positiver zu beenden: normalen Fisch, wie Lachs, gibt es auch, und dieser schmeckt spektakulär, so gut habe ich ihn in Deutschland noch nie gegessen.

Trotzdem, als ich mich gefasst hatte lautete meine Antwort beim lunsj entschieden: Nein, ich werde norwegisches Essen nicht vermissen!
Vielmehr freue ich mich wieder auf das bodenständige, verlässliche und unaufgeregte deutsche Essen, die Vielfalt und das alles bei einem Viertel der norwegischen Preise. Es sind auch tatsächlich nur noch zwei Wochen ... Am Ende werde ich es vielleicht doch vermissen. Aber im Moment freue ich mich hauptsächlich auf zu Hause.