Nunmehr endlich ein paar Worte von mir. Vielen Dank für euer Beten, die Reise verlief sowas von problemlos dass es fast schon Spaß gemacht hat.
Vier Flüge, und nach all dem Sitzen mit wenig
Beinfreiheit, dafür viel Klimaanlage kam dann: Port-au-Prince. Ein feuchtwarmer Hammer, viel Lärm und Abgase die in Berlin so wahrscheinlich seit zwanzig
Jahren nicht mehr erlaubt sind.
Auf der Straße macht, da hat sich in zwei
Jahren nichts verändert, jeder was er will. Zeugnisse echten Gottvertrauens
sind die buntbemalten Taptaps (Busse) mit frommen Sprüchen, deren Farbe nicht
einfach schnöde Dekoration ist sondern das Letzte, was die klapprigen Gefährte
zusammenhält.
Nicht weniger spannend ist die Straße, die den
Berg hoch zu Ediths und Lukensons Residenz führt. Schotter, Steigungen, tiefe
Löcher. Da kommt man nur mit viel gutem Willen hoch, aber den weist man auf und
so bin ich kurz vor sechs Uhr abends am Ziel meiner Reise.
Seitdem ist schon über eine Woche vergangen
und es ist erstaunlich wie schnell man sich manche Dinge an- und andere
abgewöhnt. Meine gesammelten bisherigen Erkenntnisse:
- Eine Dusche ist schön. Aber ohne gehts auch.
Wasser aus einem Eimer hat ziemlich genau die selben Eigenschaften wie Wasser
aus einer Brause. Es macht, mit notwendiger Ernsthaftigkeit eingesetzt, sauber.
Was will man mehr? Die Möglichkeit, verschiedene Temperaturen einstellen zu
können macht die Sache nur unnötig kompliziert.
- Ziemlich ähnlich verhält es sich mit der
Toilette. Ob das Wasser aus einem Spülkasten oder einem davorstehenden Eimer
kommt ist der Wurst letzten Endes Wurst. Besonders erfahrene Spülmeister
schaffen es übrigens mit ausgefeilter Technik (Schwung aus dem Handgelenk und
ein Einsturzwinkel von genau 90 Grad) den Wasserbedarf auf ein Minimum zu
reduzieren.
- Der Mensch überlebt ohne Wlan. Nicht ganz
ohne Mangelsymptome, aber es geht. Wie lang, habe ich noch nicht abschließend
feststellen können. Aber die von vielen stressgeplagten Menschen sehnlichst
erwünschte "Entschleunigung" lässt sich wunderbar praktizieren, wenn man
einer 3 MB starken Datei beim Upload auf Facebook 40 Minuten lang zuschauen
darf. Dabei beobachtet man fasziniert die Nebelwand, die sich beständig
zwischen Computer und Sendemast schiebt und Grund für eine Übertragungsrate
ist, der sich jedes halbwegs anständige Smartphone zutiefst schämen würde.
- Glühwürmchen existieren tatsächlich!
- Vogelspinnen leider auch. Dazu sage ich
weiter nichts.
- Ein erdenes Rotbraun passt zu allem.
Latschen, Füßen, weißen T-Shirts. Zumindest redet man sich das ein, wenn sich
diese Farbe einfach nicht mehr vermeiden lässt, auf allen Kleidungsstücken,
Besitztümern und Körperteilen.
- Haitianisches Essen - einfach unschlagbar. Und vor allem sowas von bio, das schafft keine der berühmten Prenzlauer Berg-Muttis. Beinahe
täglich kommen Leute aus dem Dorf und bringen uns schöne Sachen aus ihren
Gärten. Avocados (riesige, und viele!!), Militon (ein Mittelding aus Kürbis,
Zucchini und Kohlrabi. Aber eigentlich doch was ganz anderes.), Mais. Daraus
kann man hervorragende Dinge machen. Manchmal kommt auch ganz echte Kuhmilch,
ohne H und so weiter, wie es immer in den Supermarktregalen steht. Die wird
hier dann mit Zimt und Anis gekocht und das schmeckt ...! Da kann jeder
Milkshake von McDonalds einpacken. Ein anderes Highlight: selbstgemachte Erdnussbutter,
"Mamba". Geröstete Erdnüsse, Piment, eine Prise Zucker, ein bisschen
Salz, mehr braucht es nicht. Alles pürieren, fertig. Was entsteht, ist optisch
nicht ansprechend, aber von exquisitem Geschmack, ein Wohlklang aus
gleichzeitig salzig, süßlich und leichter Schärfe. Sowas von raffiniert.
Das neue Haus ist mitten im Bau, aber immerhin
haben Edith und Lukenson das monatelange Leben im Zelt schon gegen drei
überdachte, beinahe regendichte Räume tauschen können. Lukenson ist jetzt
leider wieder im Zelt gelandet um Platz zu machen für den Besuch aus
Deutschland.
Es ist ein bisschen eng (viel Hausrat muss
untergestellt werden!) und ein bisschen dunkel, aber was macht das schon? Wenn
es nötig ist, gibt es Strom, wenn es regnet wird man mit den notwendigen Vorkehrungen
nicht nass und wer aufs Klo muss geht "über den Hof" in das dafür
vorgesehene Häuschen mit angrenzendem Badeparadies. Es ist ein einfaches Leben,
aber ich höre hier niemanden jammern. Das beeindruckt mich und ist lehrreich.
Wenn nicht gerade mein Bruder Max im Fahrstuhl steckt werde ich vielleicht beim
nächsten Stromausfall nicht mehr in Panik verfallen und mich daran erinneren,
dass man hier meistens nur mal ein Stündchen am Tag den Strom anschaltet.
Falls ihr euch fragt, ob ich hier auch was mache, im Sinne einer von Ergebnissen
begleiteten nützlichen Tätigkeit kann ich sagen: Jawohl. Ich
darf z.B. für WNH einen Kalender für 2016 gestalten und durfte außerdem
zusammen mit Edith einen "Knüpfkurs" mit einigen Mädchen machen. Obwohl
gerade Ferien sind haben sich viele in die Schule begeben um in die Geheimnisse
bunter Freundschaftsarmbändchen eingeweiht zu werden und ein Prinzip zu
erlernen, mit dem sich noch viele andere Sachen machen lassen. Ich hätte es gar
nicht zu hoffen gewagt, aber diese Technik wurde richtig gut angenommen, nicht
nur von den Mädchen, sondern auch von den Eltern (als er sah, wie kläglich
seine Tocher vor den Fäden stand die sich einfach nicht zu dem verwandeln
wollten was ich 2 Meter weiter als Muster aufgehängt hatte, klemmte sich ein
Vater selbst dahinter und war mit äußerstem Eifer und Ernst am knüpfen), und
den Brüdern. Als wir am Nachmittag des Kurses bei einer Familie Brot kaufen
waren, saßen gerade drei der fünf Kinder auf dem Hof an den angefangenen Bändern
und waren voller Hingabe bei der Sache, darunter auch der älteste Sohn. Ich
habe mich richtig gefreut über diesen Anblick! Dass sie hier diese Technik noch
nicht kannten, sich aber doch so dafür interessieren und Spaß daran zu haben
scheinen.
Ich bin gespannt, was mich in den nächsten beiden Wochen noch so erwarten wird!