Donnerstag, 27. August 2015

Zwischenstand



Nunmehr endlich ein paar Worte von mir. Vielen Dank für euer Beten, die Reise verlief sowas von problemlos dass es fast schon Spaß gemacht hat.
Vier Flüge, und nach all dem Sitzen mit wenig Beinfreiheit, dafür viel Klimaanlage kam dann: Port-au-Prince. Ein feuchtwarmer Hammer, viel Lärm und Abgase die in Berlin so wahrscheinlich seit zwanzig Jahren nicht mehr erlaubt sind.
Auf der Straße macht, da hat sich in zwei Jahren nichts verändert, jeder was er will. Zeugnisse echten Gottvertrauens sind die buntbemalten Taptaps (Busse) mit frommen Sprüchen, deren Farbe nicht einfach schnöde Dekoration ist sondern das Letzte, was die klapprigen Gefährte zusammenhält.
Nicht weniger spannend ist die Straße, die den Berg hoch zu Ediths und Lukensons Residenz führt. Schotter, Steigungen, tiefe Löcher. Da kommt man nur mit viel gutem Willen hoch, aber den weist man auf und so bin ich kurz vor sechs Uhr abends am Ziel meiner Reise.
Seitdem ist schon über eine Woche vergangen und es ist erstaunlich wie schnell man sich manche Dinge an- und andere abgewöhnt. Meine gesammelten bisherigen Erkenntnisse:
- Eine Dusche ist schön. Aber ohne gehts auch. Wasser aus einem Eimer hat ziemlich genau die selben Eigenschaften wie Wasser aus einer Brause. Es macht, mit notwendiger Ernsthaftigkeit eingesetzt, sauber. Was will man mehr? Die Möglichkeit, verschiedene Temperaturen einstellen zu können macht die Sache nur unnötig kompliziert.
- Ziemlich ähnlich verhält es sich mit der Toilette. Ob das Wasser aus einem Spülkasten oder einem davorstehenden Eimer kommt ist der Wurst letzten Endes Wurst. Besonders erfahrene Spülmeister schaffen es übrigens mit ausgefeilter Technik (Schwung aus dem Handgelenk und ein Einsturzwinkel von genau 90 Grad) den Wasserbedarf auf ein Minimum zu reduzieren.
- Der Mensch überlebt ohne Wlan. Nicht ganz ohne Mangelsymptome, aber es geht. Wie lang, habe ich noch nicht abschließend feststellen können. Aber die von vielen stressgeplagten Menschen sehnlichst erwünschte "Entschleunigung" lässt sich wunderbar praktizieren, wenn man einer 3 MB starken Datei beim Upload auf Facebook 40 Minuten lang zuschauen darf. Dabei beobachtet man fasziniert die Nebelwand, die sich beständig zwischen Computer und Sendemast schiebt und Grund für eine Übertragungsrate ist, der sich jedes halbwegs anständige Smartphone zutiefst schämen würde.
- Glühwürmchen existieren tatsächlich!
- Vogelspinnen leider auch. Dazu sage ich weiter nichts.
- Ein erdenes Rotbraun passt zu allem. Latschen, Füßen, weißen T-Shirts. Zumindest redet man sich das ein, wenn sich diese Farbe einfach nicht mehr vermeiden lässt, auf allen Kleidungsstücken, Besitztümern und Körperteilen.
- Haitianisches Essen - einfach unschlagbar. Und vor allem sowas von bio, das schafft keine der berühmten Prenzlauer Berg-Muttis. Beinahe täglich kommen Leute aus dem Dorf und bringen uns schöne Sachen aus ihren Gärten. Avocados (riesige, und viele!!), Militon (ein Mittelding aus Kürbis, Zucchini und Kohlrabi. Aber eigentlich doch was ganz anderes.), Mais. Daraus kann man hervorragende Dinge machen. Manchmal kommt auch ganz echte Kuhmilch, ohne H und so weiter, wie es immer in den Supermarktregalen steht. Die wird hier dann mit Zimt und Anis gekocht und das schmeckt ...! Da kann jeder Milkshake von McDonalds einpacken. Ein anderes Highlight: selbstgemachte Erdnussbutter, "Mamba". Geröstete Erdnüsse, Piment, eine Prise Zucker, ein bisschen Salz, mehr braucht es nicht. Alles pürieren, fertig. Was entsteht, ist optisch nicht ansprechend, aber von exquisitem Geschmack, ein Wohlklang aus gleichzeitig salzig, süßlich und leichter Schärfe. Sowas von raffiniert.

Das neue Haus ist mitten im Bau, aber immerhin haben Edith und Lukenson das monatelange Leben im Zelt schon gegen drei überdachte, beinahe regendichte Räume tauschen können. Lukenson ist jetzt leider wieder im Zelt gelandet um Platz zu machen für den Besuch aus Deutschland.
Es ist ein bisschen eng (viel Hausrat muss untergestellt werden!) und ein bisschen dunkel, aber was macht das schon? Wenn es nötig ist, gibt es Strom, wenn es regnet wird man mit den notwendigen Vorkehrungen nicht nass und wer aufs Klo muss geht "über den Hof" in das dafür vorgesehene Häuschen mit angrenzendem Badeparadies. Es ist ein einfaches Leben, aber ich höre hier niemanden jammern. Das beeindruckt mich und ist lehrreich. Wenn nicht gerade mein Bruder Max im Fahrstuhl steckt werde ich vielleicht beim nächsten Stromausfall nicht mehr in Panik verfallen und mich daran erinneren, dass man hier meistens nur mal ein Stündchen am Tag den Strom anschaltet.
Falls ihr euch fragt, ob ich hier auch was mache, im Sinne einer von Ergebnissen begleiteten nützlichen Tätigkeit kann ich sagen: Jawohl. Ich darf z.B. für WNH einen Kalender für 2016 gestalten und durfte außerdem zusammen mit Edith einen "Knüpfkurs" mit einigen Mädchen machen. Obwohl gerade Ferien sind haben sich viele in die Schule begeben um in die Geheimnisse bunter Freundschaftsarmbändchen eingeweiht zu werden und ein Prinzip zu erlernen, mit dem sich noch viele andere Sachen machen lassen. Ich hätte es gar nicht zu hoffen gewagt, aber diese Technik wurde richtig gut angenommen, nicht nur von den Mädchen, sondern auch von den Eltern (als er sah, wie kläglich seine Tocher vor den Fäden stand die sich einfach nicht zu dem verwandeln wollten was ich 2 Meter weiter als Muster aufgehängt hatte, klemmte sich ein Vater selbst dahinter und war mit äußerstem Eifer und Ernst am knüpfen), und den Brüdern. Als wir am Nachmittag des Kurses bei einer Familie Brot kaufen waren, saßen gerade drei der fünf Kinder auf dem Hof an den angefangenen Bändern und waren voller Hingabe bei der Sache, darunter auch der älteste Sohn. Ich habe mich richtig gefreut über diesen Anblick! Dass sie hier diese Technik noch nicht kannten, sich aber doch so dafür interessieren und Spaß daran zu haben scheinen.

Ich bin gespannt, was mich in den nächsten beiden Wochen noch so erwarten wird!

Sonntag, 16. August 2015

Bevors losgeht

Das Schlimme daran, an einen Ort zu reisen, ist, dass man einen anderen Ort verlassen muss. Im Moment bin ich gedanklich zwischen Alltag und Abenteuer, Bekanntem und Unbekanntem, Jetzt und Später, Brandenburg und Karibik. Ab morgen dann auch körperlich - die große Reise beginnt um 14 Uhr in Tegel.

Es war schon komisch, das eigene Zimmer für 5 Wochen abzuschließen. Da habe ich gemerkt, dass diese 23 Quadratmeter mittlerweile wirklich mein Zuhause sind, mit der Geräuschkulisse der Straße und der Kneipe gegenüber, mit den Spinnen, die immer irgendwie im Bad auftauchen, mit dem Wasserkocher, der mal wieder entkalkt werden müsste und dem Kühlschrank der immer treu meinen geliebten Quark aufbewahrt und dabei immer leise seine Geräusche von sich gibt.
Ich werde Einiges vermissen an meinem Berliner Leben. Zum Beispiel das Fitnessstudio. Oder den Maybachufer-Markt. Sommerabende, in denen so viele Menschen auf den Straßen schlendern und einfach nicht nach Hause wollen. Die Bücherei. Und natürlich all die lieben Menschen die ich eine Weile nicht sehen werde. Es sind ja nur dreieinhalb Wochen.

Ich weiß, sobald ich eingecheckt bin, die erste Passagierkontrolle hinter mir habe und in der Wartehalle sitze bis mein Flug aufgerufen wird, werde ich im Reisemodus und alles wird wieder gut sein, die Mulmigkeit verflogen. Und wenn ich erst in Port-au-Prince gelandet sein werde ...

Ich fliege wieder sehr umständlich. Von Berlin nach Amsterdam, dann nach New York, dort muss ich ja über Nacht den Flughafen wechseln, dann fliege ich nochmal nach Atlanta bis ich schließlich das vierte Flugzeug besteige das mich nach Port-au-Prince bringen wird. So viele Möglichkeiten für Probleme und Dinge die schiefgehen können! Aber Gott hält ja seine Hand darüber.

Bei allem Schwermut gibt es natürlich auch viel, worauf ich mich freue. Edith viele Geschenke zu bringen. Mit ihr zu quatschen und sie wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Kreolisch zu hören und vielleicht auch nach einer Weile wieder zu verstehen. Haitianisch zu essen. Komplett raus zu sein aus dem, was ich sonst sehe, höre, um mich habe und jede Menge neue Eindrücke zu sammeln. Zu fotografieren. Zu bestaunen, was sich oben auf dem Berg getan hat, seit ich vor zwei Jahren das letzte Mal dort war. Und wie es in Haiti im August ist.

Ich bin sicher, es werden richtig gute dreieinhalb Wochen und in spätestens 48 Stunden werde ich gar nicht mehr verstehen, warum ich jetzt in dieser komischen Laune bin.

Es wäre toll, wenn ihr mit für mich beten würdet. Dann ginge es mir jetzt schon besser!

Um was ich Gott bitte: 

- Flug: dass alles glatt geht. Kein Gepäckstück zu groß/zu schwer ist, nichts irgendwo drin ist, was Ärger macht. Dass kein Flug Verspätung hat (in Erinnerung an letztes Mal ...), oder zumindest nicht so, dass ich einen Anschlussflug nicht erwische. Dass ich zwischendurch nicht beklaut werde oder irgendetwas im Koffer kaputt geht. Dass ich heil ankomme und zwischendurch keine nervenden Sitznachbarn habe :)
- In Haiti: dass ich helfen kann und nützlich sein werde. Viele gute Erfahrungen. Dass nichts passiert und ich auch gesund bleibe. Dass ich nichts vergessen habe, in den Koffer zu packen. Dass mein Laptop nicht kaputt geht, den ich nun doch mitnehmen werde. Dass es eine gute Zeit wird, für alle Beteiligten und ich ein Segen sein kann.
- Jetzt: gute Laune, Mut, Vorfreude. Keine schlechten Gedanken, Angst, und ständiges Grübeln was noch in den Koffer gehört und ich vergessen haben könnte.

Gleichzeitig habe ich auch unglaublich viel Grund in Hinblick auf die Reise zu danken, woran ich euch auch gerne teilhaben lasse.

Wofür ich danke:

- Finanzen: in den letzten Wochen habe ich noch von vielen, völlig unerwarteten Seiten finanzielle Unterstützung erfahren. Das war überwältigend und eine Bestätigung, dass Gott wirklich hinter meiner Reise steht. Ich möchte Gott und allen, die mir diese speziellen weißen Umschläge haben zukommen lassen, von Herzen danken.
- Diese Möglichkeit: wenn ich mit meinen Kommilitonen über die Pläne für die Semesterferien gesprochen habe, haben mich immer alle sofort beneidet. Wow, Haiti. Wer kommt da schonmal hin? Es ist wirklich was ganz Besonderes, dort Connections zu haben und dieses Land kennenlernen und besuchen zu dürfen. Das sind Erfahrungen, die nicht jeder macht.
Edith: aus dem Nichts im Nichts in Gottes Namen etwas aufzubauen, ist so bewundernswert und mutig. Ich freue mich so, meine Tante besuchen zu dürfen und Zeit mit ihr verbringen zu können. Darüber, dass ich ihr einige Sachen mitbringen kann, die sie dringend braucht und darüber, dass sie sich auch auf mich freut nachdem ich mich selbst eingeladen habe.

Sicherlich habe ich jede Menge Sachen vergessen, mal ganz davon abgesehen dass es auch ohne die Reise 1000 Gründe gibt, warum ich dankbar bin.
Ich werde euch auf dem Laufenden halten, nun wieder in etwas kürzeren Abständen als bisher ;) Aber jetzt passiert ja auch wieder was.
Ich danke für eure Gebete. Heute habe ich geduscht und mir gedacht: "das nächste Mal dusche ich schon in Haiti!". Genauso schreibe ich jetzt aus Deutschland und das nächste Mal - aus Haiti!