Freitag, 15. Dezember 2017

Ein Höllentrip

Wlan. Ich hatte schon einige lustige Satzfetzen im Kopf, um die letzten knapp 4 Wochen in Haiti zu beschreiben. Ich wollte humorvoll beschreiben, wie mir auf meinem Nachttisch eine Kakerlake begegnet ist. Über Vogelspinnen. Nervenzerreibendes Internet. Wie die zu portraitierenden Kindergartenkinder eine solche Angst vor mir hatten dass manche der Fotos fast nach Kriegstrauma aussehen. Wie gut es wieder geschmeckt hat, Maisbrei, Bohnensoße, Yam, Guaven.

Aber das bringe ich nicht mehr über mich. Die letzten 12 Stunden waren grauenvoll, so viel ist zusammengekommen, so oft brannten mir die Tränen in den Augen und wenn ich nicht so dringend nach Hause wollen würde hätte ich mich vielleicht irgendwann einfach irgendwo in die Ecke gesetzt und aufgegeben. Ich bin wirklich fertig.

Heute Morgen hatte ich schon ein extrem ungutes Gefühl. Ich erwartete eine Katastrophe. Auf dem zweistündigen Weg vom Berg runter auf die große, asphaltierte Straße, verharrte ich im Dauergebet, die Finger umeinander geklammert. Bei jedem Stein erwartete ich, dass er ein Loch in einen der vier Reifen reißen würde oder etwas anderes am Auto kaputt geht. Das ist so unwahrscheinlich nicht, denn bei aller Liebe ist mir eine größere Klapperkiste noch nicht untergekommen. Wie Lukenson es schafft, sie weiterhin mindestens wöchentlich für Besorgungen nach Port-au-Prince und zurück zu befördern ist mir schleierhaft. Dieses Auto würde auseinander fallen, wenn man es mal besonders scharf ansehen würde, und doch bewältigt es jedes Mal die Schotterpiste, die vor Schlaglöchern, Felsen, Schlammlöchern, extremen Steigungen und Neigungen übersät ist. Kommentarlos sammelte Lukenson schon Teile auf dem Rückweg wieder ein, die er auf dem Hinweg auf der Straße verloren hatte. Und trotzdem fährt es. Meistens, bis auf gelegentliche Reifenpannen. Und das durfte heute eben nicht passieren! Die einzige Alternative zum Auto ist ein Motorradtaxi, und ich sah mich schon auf einem solchen, mit meinem Riesenkoffer und zwei Handgepäckstücken. 
Das passierte nicht. So ziemlich das einzige, was nicht passierte. Ich war komplett durchgeschüttelt und -geschwitzt, aber wir erreichten die Asphaltstraße. Jetzt ist das Schlimmste geschafft, dachte ich. 
Jetzt können wir mit Tempo in die Stadt fahren, der Fahrtwind kühlt, und bald sitze ich in der Wartehalle und schlage die Zeit tot bis mein Flugzeug am Abend geboardet werden kann. 

Es gab kein Tempo. Es gab Stau. Dicken, undurchdringlichen, stinkenden, staubigen, lauten Stau. Jedes Auto zieht eine rabenschwarze Auspuffwolke hinter sich her. Die Abgase vermischen sich mit den Wolken, die verbrennender Müll am Straßenrand produziert. Jeder hupt. Jeder fährt. Manchmal türmen sich riesige, mindestens genauso schrottreife Gefährte wie unseres rechts und links von uns auf, nur eine Handbreit entfernt. Ich fange an zu verstehen, warum man in so einer Situation Platzangst bekommt. Und Angst um sein Leben. 
Die Sonne brennt. Verbrennt meine Arme. Ich stecke sie unter meine Jacke. Jetzt brennt die Haut nicht mehr, aber der Schweiß läuft in Strömen. Ich atme flach, wegen des Gestanks. Ich lehne den Kopf an die Stütze und resigniere. Ich kann nicht mehr. Und es geht weiter, immer weiter. Im Schritttempo. Durch die brütende Hitze. Bald ist die Luft so dick, dass die Sonne nichtmal mehr durchkommt. Man sieht durch einen Schleier. Abgase, überall. Ich bin froh, nur sein zu müssen, in meinem Sitz zu hängen, dass Lukenson fährt. Aufpasst, auf Autos die von rechts und links kommen, Fußgänger die sich dazwischen stürzen, Schlaglöcher die am Ende doch noch eine Reifenpanne verursachen könnten. Vorwärts, Meter für Meter. Und dann stürzt vor uns ein Mann vom Autodach und bricht sich das Genick. 

Das Gemeinschaftstaxi fuhr ruckartig an. Es ist gar nicht so hoch, aber er fällt direkt auf den Kopf.  Das Knacken kenne ich, in den letzten Wochen haben wir öfter mal Hähnchenkeulen gegessen. So zerbrechen Knochen. Er bleibt liegen. Ausgestreckt. Regt sich nicht mehr. Gibt keinen Laut von sich. Atmet nur. Ich kann nicht wegschauen, ich will dass er aufsteht, oder dass jemand was tut. Gerade eben saß er noch selbstgefällig auf dem Dach dieses leeren Autos. Manche Fußgänger stehen geschockt daneben. Aber die meisten gehen und fahren weiter. Wir auch. Wir rollen mit der Lawine mit. 
Mir ist schlecht. Ich sehe die Szene immer und immer wieder. Ist vielleicht doch nur jemand neben uns auf eine Plastikflasche getreten, habe ich nicht seinen Hals gehört? Oder ist gerade vor meinen Augen jemand gestorben? Ich zittere, möchte heulen. So schnell geht das. Und kaum jemanden interessiert es. In Haiti ist ein Leben nichts wert. 

Mir sticht es nun besonders ins Auge. Wie Menschen dichtgedrängt auf Busdächern sitzen, sich gerade so festhalten am Rest der Ladung. Wie sie im Laderaum vor offener Klappe stehen, sich an der rostigen Decke des LKWs festkrallen. Wie sie sich auf einem Motorrad zu 5. stapeln, und vorne noch ein Kleinkind draufsitzt. Wie Verkäufer sich zwischen die Autos stürzen, um eine Flasche Wasser, eine Tüte frittierte Bananen, ein paar Bonbons loszuwerden. Diese Leben sind scheinbar nichts wert.
Ich muss daran denken wie sehr ich geliebt werde, von allen möglichen Menschen. Wie wertvoll ich für sie bin, als einzelne Person. Und hier? Bewegt sich eine große, dunkle, staubige Menge durch die Straßen, und wenn ab und zu ein Teil davon untergeht wird es kaum bemerkt. Dabei werden in diesen Köpfen genauso viele Träume, Wünsche und Zukunftspläne umherschwirren wie in meinem. Wie ungerecht ist das.

Die quälenden Gedanken gehen wieder über ins Nichts, die Fahrt unbarmherzig weiter. Es scheint und scheint kein Ende zu nehmen ... mehr als vier Stunden nachdem wir aufgebrochen sind, stehen wir dann vor dem Flughafen. Lukenson schmeißt mich nur raus, er muss weiter. Mir zittern die Knie, dröhnt der Kopf und klebt jedes Kleidungsstück an der Haut, "nimm von niemandem Hilfe an, sie wollen nur Geld" wird mir noch mitgegeben, dann stehe ich allein in der klimatisierten, plötzlich viel zu kalten Halle. Ich umklammere meinen Koffer und mache die Ecke ausfindig, in der Air France seine Check-In-Schalter hat. Aber im Moment ist da noch niemand. In 2 Stunden, sagt man mir. Ich verschlinge drei der Bananen, die ich mitgenommen habe, dann suche ich eine Toilette. Ich muss meinen Koffer allein vor der Kabine stehen lassen, und abschließen lässt sie sich auch nicht. Jetzt noch den Koffer klauen lassen, das würde passen. Mir ist schon elend, und trotzdem bleibt immer noch dieses schlechte Gefühl. Ich traue meiner Buchung nicht. Und ich will endlich zu Hause sein. 

Ich vertreibe mir zwei Stunden bei ein bisschen Wlan, einem Cappuccino, einem Apfel und viel Klimaanlage in einem Essenskabuff hinter Glasscheiben. Ich bin froh, mich zu einer anderen Weißen an den Tisch setzen zu können. Auch nach vier Wochen habe ich mich nicht an die vielen intensiven, neidvollen, faszinierten, manchmal abschätzigen Blicke gewöhnen können, mit denen man als Weiße (Frau) in Haiti ständig traktiert wird. Man wird immer beobachtet. Und muss sich ständig anstrengen, die Kommentare zu überhören. Deswegen solidarisiert man sich übermäßig wenn man doch mal auf jemand ähnlich Blasses trifft.

Nach den zwei Stunden, ich habe einigermaßen gesammelt, mache ich mich wiederum auf in Richtung Schalter. Mein USA-Visum wird gecheckt und es ist in Ordnung. Ich gehe zur Gepäckabgabe und reiche meinen Reisepass herüber. Der junge Mitarbeiter kann es sich wieder nicht verkneifen. "You look like barbie!" Bewundert das Passfoto. Ich fühle mich verarscht, denn wenn ich in den letzten Wochen schon keinen Spiegel hatte dann doch zumindest die Frontkamera meines Handys um verfolgen zu können, wie sich meine Haare ohne Friseur vernachlässigterweise immer weiter in Richtung Vogelscheuche aufmachen und der Rest der Visage nur nachzieht. Er soll meinen Koffer nehmen, fertig! Lass das Quatschen. Stattdessen ein Stirnrunzeln. "Where is Max?" Ich verstehe ihn erst nicht. Dann verstehe ich, um wen es geht. Ich erkläre, dass sein Flug storniert wurde. Nur ich fliege. Wie auf dem Hinweg. 
"Go to the office and validate your ticket. Then come straight back, I'll be waiting here for you!"
Ich murmele ein Danke, mache mich auf in die angezeigte Richtung und mit jedem Schritt fühlt sich mein Koffer schwerer an und mein Herz schlägt schneller. Irgendwas ist falsch, ich wusste es doch.

Ich schiebe einer gelangweilt und nicht sehr helle aussehenden Mitarbeiterin (ich meine nicht die Hautfarbe) von Air France hinter einer dreckigen Scheibe meinen Pass und mein ausgedrucktes Ticket zu. Sie überwindet sich dazu, meinen Namen in ihren Computer einzuhacken. Sucht. Tippt wieder. Runzelt die Stirn. "Do you have a ticket?" Meine Stimme wird schrill. Ich deute auf meinen Zettel, zeige ihr die E-Ticketnummer. Sie tippt wieder. Schließlich ihr abschließendes Urteil. "You have no ticket."
Ich stehe in Port-au-Prince und habe kein Rückflugticket. Das kann nicht sein, sage ich. Ich zeige ihr meine Bestätigungsnummer auf dem Handy. Sie holt ihren Chef. Sie diskutieren. Nicken. Schließlich kommt er raus. "Your ticket was cancelled by you", erklärt er mir. "Nein, das war das andere!!!", versuche ich ihn zu überzeugen. Er geht wieder hinter die Scheibe, sie tippen erneut. Nicken. 
Die Buchung für Max ist da. Meine ist storniert. Fehler. Ich habe kein Ticket. Ich bettle ihn an, den Namen zu ändern. Geht nicht. Ich soll mein Reisebüro anrufen. Cheaptickets.de - ich hatte mich gefreut über dieses Portal nur die Hälfte dessen zu bezahlen was ich für meine vorherigen beiden Haiti-Trips bezahlt hatte. Es rächt sich.
Mit meiner Sim-Karte kann ich nicht im Ausland telefonieren, der Air France-Mitarbeiter stellt mir aber sein Handy zur Verfügung. Ich tippe die Notfallnummer auf dem E-Ticket ein und begebe mich in die Warteschleife. Ungeduldig steht der Mitarbeiter neben mir. Ich höre nur Dudelei. 
Nach 10 Minuten einen Menschen. Ich fange an zu erklären, wo das Problem ist. Mittendrin merke ich, dass das Gespräch beendet ist. Es brennt so sehr hinter meinen Augen. Warum muss das jetzt sein?! Warum diese Schwierigkeiten? Warum haben wir Max' Ticket storniert, um von den 640 bezahlten Euros 180 zurückzubekommen und jetzt diesen Salat? Warum hat es auf dem Hinflug funktioniert? Ich hätte in Tegel bleiben können, aber ich kann nicht in Port-au-prince bleiben.
Ich rufe noch einmal an. Der Mann will sein Handy zurück, ich kann es ihm nicht verdenken, solche Service-Nummern sind teuer und man bezahlt auch während man in der Warteschleife sitzt. Schließlich wieder ein geschäftiges "How can I help you?" aus dem Hörer. Ich erkläre erneut. Nach einer kurzen Pause sagt man mir, es sei das richtige Ticket storniert worden, meins sei noch gültig. Ich reiche den Hörer weiter. Air France und Cheaptickets.de diskutieren, gereizt. Schließlich legt Air France auf und steckt sein Handy in die Tasche. "You have to buy a new ticket."
Und dreht sich um. Ende der Diskussion.
Ich will nach Hause. Ich wende mich wieder an die Dame mit Schlafzimmerblick, die zwischendurch auf ihrem Handy daddelte und sich wünscht, ich würde endlich verschwinden. Ich bitte sie, mir einen neuen Flug rauszusuchen. Nun wird sie richtig gefordert. Minutenlang tippt und sucht sie, wieder Stirnrunzeln, der Chef muss wieder mithelfen, am Ende wirken sie beide zufrieden. Sie tippt eine Nummer in ihren Taschenrechner und dreht ihn für mich um. Knapp 2.400 Dollar stehen da, und damit komme ich lediglich nach Paris. Nochmal 200 und ich bin in Berlin. Mir wird wieder schlecht. "Ich frage mal bei den anderen Schaltern ... ", hauche ich. Sie zuckt entnervt mit den Achseln, der Chef auch. Die Sache ist abgehakt. 

Mittlerweile ist es schon fünf Uhr nachmittags. Meine Chancen, überhaupt noch einen Flug zu bekommen stehen gar nicht so gut, immerhin ist PAP nur ein kleiner Flughafen. Aber ich WILL nach Hause. Die erste Konkurrenz-Airline fliegt nicht nach Berlin, kann mich aber nach New York befördern. Morgen, für 600$. Ich lehne ab. Das muss anders gehen.
Der nächste Schalter. Ich bringe mein Anliegen vor. Ein Ticket. Für heute. Nach Berlin. Diesmal schlagen mir aufmunternderweise Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegen, auch Mitleid als ich erkläre was schief gelaufen ist. Eine Verbindung wird gefunden, der Kollege zieht scharf die Luft ein. Knapp 1.500$. So viel Geld! Ich hatte doch schon bezahlt ... 

Ich bitte darum, mich nur für den Flug nach Miami zu buchen und bin flugs 400$ los. Einmal die Kreditkarte rübergereicht, tut kaum weh. Nur in mir rumort der Ärger, der Schock. Ich bin ein Geizkragen, und das sind zwei Jahre Weihnachten und Geburtstag und was es noch so gibt zusammen. Ich hätte in Saus und Braus leben können, z.B. in Norwegen.

Als ich dann endlich doch im Flugzeug sitze, einem ganz anderen als geplant und ohne zu wissen wie es dann weitergeht, zur Ruhe komme, da fängt mein Kopf richtig an zu pochen. Ich halte es kaum aus, würde sogar mal eine Tablette nehmen, habe aber keine. Dann hören die Kopfschmerzen auf, und stattdessen wird mir übel. Richtig, richtig übel. Ich versuche gleichmäßig zu atmen, trinke das kalte Wasser das mir gereicht wird, esse ein paar der Salzbrezeln die als Snack verteilt werden, viel gegessen habe ich heute nicht. Es kommt in Wellen, ein Atemzug übel, ein Atemzug in Ordnung. Ich sehe mich um nach den Toiletten. Höre das Knacken von heute Nachmittag immer wieder in meinem Kopf. Ich. will. mich. nicht. übergeben! Es ist ein hartes Stück Arbeit. Zu allem Überfluss gibt es den ganzen Flug über Turbulenzen. Ich heule wieder, aber es ist nicht so erleichternd wie ich es mir gewünscht hätte.

Wir landen. Stehen noch ewig. Die Luft kommt mir stickig und viel zu warm vor, ich will raus. Schlucke. Atme. Darf endlich den Gang entlang gehen. Muss an das verlorene Geld denken, einen Monatslohn, eine Monatsmiete. Weihnachten wird wohl ausfallen. Wegen eines Fehlers, den nicht ich gemacht habe, sonst aber auch niemand zugeben will. Und immer noch keine Ahnung wie ich nach Berlin komme.

Die Shuttlebahn zur Immigration riecht ganz intensiv nach Currywurst. Ich versuche, die halbe Minute nicht zu atmen. Danach lange Gänge, es tut gut ein bisschen zu laufen. Für jedes Stückchen, das die Übelkeit nachlässt, kommen die Kopfschmerzen wieder, stärker als je zuvor. Aber auch die sind wie weggeblasen, als ich am Automaten zur Immigration gesagt bekomme, dass mein Reisepass nicht akzeptiert wird. Mindestens sechs Monate müsste er noch gültig sein, es sind aber nur fünf. Was habe ich getan, wofür werde ich heute so bestraft? Noch blasser schleppe ich mich zu den Zollbeamten, suche in den Kabinen nach einem freundlichen Gesicht. Finde eins, er scheint gut drauf zu sein und Lust zu haben auf Feierabend. Als ich an der Reihe bin, trete ich vorsichtig an ihn heran. Gerade hatte ich in einem Erfahrungsbericht noch gelesen, wie eine Frau die mit einem ungültigen Reisepass in die USA einreisen wollte, erstmal verhaftet wurde und ziemlich lang Scherereien hatte, bis sie weiterreisen durfte. Ich leg es gleich auf den Tisch, mit zitternder Piepsstimme "er ist nur noch fünf Monate haltbar, ich wusste nicht ...". 
"Mach dir mal keine Sorgen, Julia!", sagt der Beamte nach einem Blick in den Pass. "Finger auf den Scanner!" - und er zieht sein Procedere durch, als wäre nichts. Einen schönen Tag wünscht er mir noch. Und ich kann gehen. Was bin ich erleichtert!! Und komme mir trotzdem immer noch vor wie im falschen Film. Wie kann so viel bei einer Reise schiefgehen? Ich nehme mir vor, nicht mehr zu reisen.

Es ist neun Uhr abends, die meisten Schalter sind nicht mehr besetzt. Ich will es trotzdem noch einmal wissen und finde eine Mitarbeiterin. Erkläre ihr mein Problem, möchte dass sie mein Ticket checkt. Sie gibt mir die Nummer von Delta Airlines. Ich finde ein öffentliches Telefon, mit dem ich dort anrufen kann. Es ist kaputt, die Mitarbeiterin am anderen Ende kann mich nicht hören. Ich nehme das Telefon daneben. Jetzt können wir kommunizieren. Sie bestätigt, was man mir in Port-au-prince schon sagte und auch, dass sie nichts ausrichten könne. Du brauchst ein neues Ticket, sagt sie. Ich bitte sie, mir auszurechnen was es kosten würde, nach Berlin. Es dauert nicht lang. "Das Günstigste was ich finde inklusive aller Gebühren und Gepäck ist ... 2.800$." Mir bleibt die Luft weg. Ich bin schon in Miami und trotzdem soll es noch so viel sein? Ich schaffe es noch, mich zu bedanken und zu sagen, dass ich nach einer anderen Möglichkeit suchen werde. Die freundliche Stimme am anderen Ende fühlt mit: "Ja, versuch es online, es ist gut möglich dass du eine bessere Variante findest."

Das dachte ich mir auch, und ich habe, relativ gesehen, auch Erfolg. Für knapp 350€ von Miami nach Berlin, das ist wohl unschlagbar. Ein schwacher Trost. Ich buche, und hier sitze ich nun, immerhin endlich mit dem Wissen dass es weitergeht. Ich habe weniger Gepäck frei, sodass ich aus zwei Handgepäckstücken eins machen und mir einige Klamotten mehr anziehen muss um den großen Koffer zu erleichtern. Ich werde über Island fliegen, auch mal interessant. Ich werde nach Hause kommen. Nicht, wie geplant mit Weihnachtsgeschenken aus Miami. Aber ich werde endlich nach Hause kommen und dann auch zu Hause bleiben. Mein Zimmer wieder beziehen. In den deutschen Winter eintauchen, wieder die Weihnachtsstimmung aufnehmen die schon im Oktober angefangen hat und die letzten vier Wochen einfach gar nicht da war. Wieder Student sein, fürs letzte Semester. 
Und diesen Reisetag hoffentlich so bald wie möglich vergessen, das sinnlos rausgeschmissene Geld, die ständigen Schreckmomente, die unfreundlichen Mitarbeiter und das Gefühl einfach in der Fremde gestrandet zu sein. Jedenfalls werde ich nie wieder einen längeren Flug über ein Billigportal buchen!!