Samstag, 23. Februar 2019

Manchmal ist es nicht so cool

Es ist leichter, zu schreiben wenn es einem richtig gut geht. Im Moment ist es nicht so, aber da das auch zur Geschichte gehört kommt trotzdem ein Blogeintrag.

Auf einmal bin ich nämlich einsam, fremd, alleine, weit weg. Was fast zwei Monate überhaupt kein Problem war, kommt jetzt mit Wucht, warum auch immer, verspätet. Abends. An den Wochenenden. Ich dachte, ich bin jemand der gut mit sich selbst auskommt und es endlos genießt, wenn niemand da ist, vor allem nach den letzten fünf Jahren im Wohnheim ohne jemals Ruhe zu haben. Stattdessen merke ich, dass ich unendlich viel Gemeinschaft und Dialog brauche.

Gleichzeitig hat meine Wohnungssuche Fahrt aufgenommen, ich war beinahe jede Woche bei 3 – 4 Besichtigungen und gerade als ich mich entschlossen hatte, nach einer WG zu suchen, bot sich mir die perfekte kleine Einzimmerwohnung an, die im besten Teil der Stadt liegt. Und eine Entscheidung musste innerhalb eines Tages getroffen werden.

Wenn ich sage, dass ich schlecht bin in Entscheidungen, antworten mir die meisten "Oh, ich auch!". Aber ernsthaft, meine Unfähigkeit zu einem Entschluss ist extrem, und erzeugt endlos Panik und Verzweiflung. Ich konnte nicht schlafen, ich hatte Angst davor mich falsch zu entscheiden. Ich suchte nach Alternativen, fand aber nichts.
Ich habe meine Kollegen in den Wahnsinn getrieben mit endlosem Abwägen von Vor- und Nachteilen von WGs und Wohnungen. Es hat sich alles aufgewogen, und es gibt zu allem gute und schlechte Beispiele. Manche werden in WGs Freunde fürs Leben, andere finden es so schlimm dass sie lieber Überstunden machen als nach Hause zu kommen. Manche genießen es alleine zu wohnen, anderen fehlt etwas. Letzten Endes konnte mir niemand einen anderen Rat geben als "Das musst du selbst entscheiden".

Das habe ich also, ich musste. Ich hätte gerne noch ein paar Wochen weiter darüber gebrütet. Aber so funktioniert das Leben nicht, und vor allem nicht der Wohnungsmarkt.
Ich werde also ab März eine kleine Einraumwohnung mitten in Grünerløkka mieten, gegenüber einer Designhochschule und direkt am Fluß. Es ist wunderschön, und ich glaube ich kann mich dort wohlfühlen, besonders im Sommer.
Habe ich den Schritt bereut? Schon tausend Mal, das gehört zu meiner Entscheidungsunfähigkeit dazu.

Auf Instagram ist mir ein Zitat aus der ZEIT begegnet:




Ich finde es wunderbar, und versuche, mich öfter daran zu erinnern. Weder geht die Welt unter, wenn ich mich falsch entschieden habe, noch kann ich es nicht irgendwann (nach einem Jahr Mindestmietdauer …) rückgängig machen. Warum diese Angst vor einem Fehler. Die Angst, etwas zu verpassen. Ich probiere es jetzt einfach aus.

Trotzdem ist die ganze Wohnungssache immer noch furchteinflößend. Eine große Menge Kaution muss auf ein bestimmtes Konto überwiesen werden. Für diesen Vertrag brauche ich eine Bank-ID, für diese ID ein norwegisches Konto, und das dauert Ewigkeiten und hängt mit meinem deutschen Reisepass zusammen, den ich auch erst in frühestens einer Woche erhalten werde. Jede Kleinigkeit ist so unglaublich kompliziert hier in Norwegen!
Außerdem brauche ich unendlich viel, in der Wohnung ist bis auf eine Küche nichts. Besteck, Möbel, ... Bis ich meine eigenen Habseligkeiten habe muss ich mir eine Luftmatratze von meiner Kollegin borgen. Dann muss ich mich um ein Stromabo kümmern. Es gibt unterschiedlichste Arten Strom zu beziehen, entweder mit Festpreis, oder mit Momentpreis, oder eine Kombination aus beidem, zusätzlich zahlt man auch noch eine Gebühr um das Stromnetz an sich nutzen zu können … Ich weiß nicht ob es in Deutschland auch so schwierig ist. Wenigstens Internet ist schon da.

Das ist mir alles viel zu erwachsen. Da muss ich jetzt durch. Bald ist (doch hoffentlich) Frühling, ich freue mich auf den nächsten Besuch zu Hause und auf den Moment, wenn die Wohnung wohnlich, zum Zuhause geworden ist. Ich glaube, das dauert noch lange.

Ich bin euch sehr dankbar, wenn ihr weiter im Gebet an mich denkt. Ich würde mir im Moment so sehr weitere Personen wünschen, die in der Nähe wohnen und einfach da sind, auch am Wochenende. Mit denen man unspektakulär Zeit verbringen kann, ohne dass es zu einem Riesenevent werden muss. Und dass meine Wohnung zu einem Zuhause wird.

Zum Schluss noch einige neue Erkenntnisse aus diesem Land:

  • Es gibt hier keine Spatzen. Also, wirklich keinen einzigen. Ich sehe Möwen und ein paar Tauben aber das wars. 
  • Die Norweger habens mit dem Feuer. Jede größere Wohnung muss einen zweiten Ausgang haben (gruselig, immer diese Türen in den hintersten Ecken die nie jemand aufmacht und in enge, unbenutzte Treppenhäuser führen), und in jeder Wohnung muss ein Feuerlöscher stehen. Wie ich den in meinem sowieso schon winzigen neuen Heim unterbringe muss ich mir noch überlegen.
  • Es gibt keine Bäume an den Straßen. Schade! In Berlin pflegte ich eine intensive Freundschaft mit dem Baum vor meinem Fenster und ging mit ihm durch alle Jahreszeiten. Hier gibt es zwar Parks, aber die Straßen sind ausschließlich zur Fortbewegung gedacht und werden nicht begrünt. 
  • Wer einen großen Cappuccino/Latte Macchiato/sowas bestellt, bekommt mehr Kaffee, und nicht mehr Milch in die Tasse. Muss man wissen, wenn man sensibel für Koffein ist. 
  • Briefe werden hier von A4 nicht gedrittelt, sondern halbiert. Es kommt mir extrem unhandlich vor, diese Oschis aus dem Briefkasten zu ziehen, auch wenn es sich tatsächlich um die selbe Menge Papier handelt.
  • Norweger machen beim Sprechen ein Geräusch, über das sich die meisten überhaupt nicht bewusst sind. Als ich das beim Mittagessen zur Sprache brachte, brachte ich meine Kollegin vollständig aus der Fassung. Sie macht das auch, glaubte mir aber kein Wort. Es handelt sich um ein einatmendes "Ja", das vor allem mittelalte Frauen benutzen und mir auch in Deutschland schon begegnet ist. Hier ist es aber extrem gebräuchlich und sehr typisch. In die gleiche Kategorie gehören bestätigende Laute, die als zuhörender Gesprächspartner ununterbrochen von sich gegeben werden um zu zeigen dass man aufmerksam bei der Sache ist. Das habe ich mir auch schon angewöhnt. 

Sonntag, 3. Februar 2019

Nach 34 Tagen

Ok, jetzt ist ein Monat umgegangen, gefühlt ungefähr 10 Jahre. Es ist verrückt, fühlt sich aber total normal an – diese Schneemassen, für die ich mich trotzdem immer noch begeistern kann. Die Dunkelheit, die vor kurzem noch meinen Arbeitstag fest eingeschlossen hat, und jetzt rapide weichen muss. "Unser" Haus, Büro, 6 Etagen voller Ideen, Macbooks, Kaffee. Arbeiten ist schön. Und trotzdem sind Wochenenden wundervoll, Freitagabends freue ich mich wieder wie zu Schulzeiten.   Ich kann euch keine zusammenhängende Geschichte über den letzten Monat erzählen, aber von vielen Kleinigkeiten in meinem nordischen Alltag.

Namen. Es ist wie mit Obst – viel Exotisches wird importiert, und man glaubt mittlerweile alles zu kennen. Weit gefehlt. Oder habt ihr schonmal von Leuten gehört, die Gro, Gøril oder Izelin heißen? Alles übrigens Frauen.

Schlittenfahren. Und wenn, dann richtig. Zu der Rodelstrecke schlechthin kommt man mit der S-Bahn, die sich eine halbe Stunde lang einen Berg hoch quält. Dann leiht man sich einen Schlitten aus, der schon optisch klar macht dass die Abfahrt knallharte Action wird und kein Kinderspiel. Den Helm gibt es gratis dazu, und sie werden wissen warum. Die zehnminütige Tour ist furchteinflößend und spaßig, der Boden besteht zum größten Teil aus Eis, der Schnee peitscht einem ins Gesicht, bremsen hilft nicht, die Kurven werden waghalsig genommen und Überholmanöver sind herrlich brenzlig. Wenn der Schnitten dann endlich langsamer wird und austrudelt zittern die Knie, der Rücken schmerzt von den unzähligen Bodenwellen die nicht anders als in voller Fahrt mitgenommen werden können, das Gesicht ist klatschnass und eiskalt. Einmal kurz alle Gehirnzellen wieder einsammeln, dann den Schlitten und schließlich geht es mit der S-Bahn wieder den Berg hoch. Den ganzen Tag kann man das machen.
Eine Kollegin erzählt mir ein paar Tage später, dass auf dieser Strecke regelmäßig Leute nicht nur ernsthaft verletzt werden, sondern sogar sterben. Aber deshalb verzichtet ein Norweger nicht auf irgendeine Art von Wintersport.




Glatteis. Dieses Jahr ist es besonders schlimm, und die Autoritäten sind überfordert. Ständig schmilzt der Schnee und friert wieder fest, jeder Gehsteig ist voller Überraschungen. Man lernt, vorsichtig zu gehen, und trotzdem ist man hin und wieder zu spektakulären Einlagen genötigt um Extremitäten zurückzuholen die sich urplötzlich ganz woanders befinden als man es erwartet hätte. Immerhin geht es den Norwegern auch so, der Trick ist, hinterher so in seinem Trott weiterzugehen als hätte es diese peinlichen eineinhalb Sekunden nie gegeben.

Geburtstag. Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell schon wieder älter zu werden, und somit nichts für diesen Tag geplant. Es fand sich jedoch recht schnell eine Gruppe, mit der ich nach der Arbeit in einer schönen gemütlichen Bar ein Bierchen (Weinchen) trinken gegangen bin. Es war ein sehr netter Abend und ich bin so dankbar für diese Kollegen!


Bürokratie. Ich dachte, mich könne nichts mehr schocken, da ich immerhin die deutsche Zettelwirtschaft kenne. Aber auch in Norwegen versteht man es, beim Amt Frustration aufkommen zu lassen. Vielleicht ist es auch eine Art natürliche Auslese bei den Einwanderern. Zweimal war ich schon an Stelle A, bis ich erfahren habe, dass ich mich zuerst an Stelle B anmelden muss bevor an Stelle A irgendetwas zu machen ist. An Stelle B hatte ich mir schon im Dezember einen Termin reserviert – für Mitte April.
Ohne offiziell angemeldet zu sein und eine ID-Nummer zu bekommen, geht in Norwegen gar nichts. Kein Bankkonto, kein Arztbesuch. Ohne ersteres zahle ich bei jeder Gehaltsüberweisung auf mein deutsches Konto irrsinnige Gebühren. Letzteres macht ein blödes Gefühl. Ich wollte mich eigentlich schon in mein Schicksal fügen, aber die Leute aus der Personalabteilung haben mir geholfen. Bei schwierigen Fällen beauftragen sie eine Firma, die sich nur damit beschäftigt, Ausländern beim Start in Norwegen zu helfen. Und zack, hatte ich zwei Tage später einen Termin bei Stelle B. Nicht unbedingt demokratisch … Trotzdem bin ich natürlich froh, dass jetzt alles in die Wege geleitet ist.

Wohnung. Ich bin auf Suche, aber auch wählerisch. Zudem ist es eine Entscheidung, für die ich mich kaum erwachsen genug fühle. Wie kann ich wissen, ob ich über den Tisch gezogen werde oder nicht? Ob eine Wohnung in Ordnung ist, und der dazugehörige Mietvertrag außerdem? Welche Fragen man bei einer Wohnungsbesichtigung stellt? Eine hätte ich schon bekommen können, aber das Bauchgefühl war dagegen. Außerdem ständig die Frage: was, wenn noch eine bessere kommt? Ich kann kaum verstehen, wie es manche Leute schaffen, zu heiraten. Das muss man sich ja noch viel krasser entscheiden …

Autokorrektur. Ihr glaubt nicht, was für eine Menge an Ärger eine Autokorrektur verursacht, auf die man zwar keinesfalls verzichten kann/will, die aber, sobald man seine Nachrichten auf norwegisch schreibt, ständig querschlägt. Bei. jedem. Wort. Das sind Probleme, mit denen man nicht gerechnet hat.

Apropos Sprache. Ich habe das Gefühl, dass nichts passiert, und dann kann ich in einem norwegischen Meeting plötzlich doch jedem Wort folgen. Und, ganz ganz langsam, auch sprechen. Ich bin froh über ein paar Leute, die immer wieder mit mir üben und mich aus der Englisch-Komfortzone holen. In der Gemeinde spreche ich ausschließlich nur norwegisch, von Anfang an. Dabei bleibt aber manches auch auf der Strecke, ich würde doch manchmal gerne so viel mehr erzählen. Sowieso merke ich, dass man in jeder Sprache, die man spricht, ein bisschen ein anderer Mensch ist. Auf deutsch bin ich viel witziger als auf englisch. Auf norwegisch natürlich stiller. Manchmal verzweifle ich regelrecht an der Unmöglichkeit, das auszudrücken was mir gerade durch den Kopf schießt. Oder mal eben einen trockenen Kommentar im Berliner Dialekt loslassen zu können.

Werbung. Seit ein paar Tagen erhalte ich endlich norwegische Werbung (auf Internetseiten/Instagram/...). Damit bin ich offiziell kein Tourist mehr, sondern Einwanderer, oder?

Fußball bringt mich gerade ein bisschen zum verzweifeln. Ich habe ein kurzes, aber sehr intensives Projekt bekommen, in dem ich innerhalb von zwei Wochen eine Fußball-App visuell und in der Bedienung verbessern soll. So etwas habe ich noch nie zuvor gemacht, außerdem muss ich mein geliebtes Büro verlassen um direkt beim Kunden zu sitzen, das heißt im/am Osloer Stadion, zusammen mit sechs Männern die schon ewig daran arbeiten und alle möglichen Meinungen dazu haben. Ich lerne viel, und hoffe dass es ein gutes Ende nimmt.