Auf einmal bin ich nämlich einsam, fremd, alleine, weit weg. Was fast zwei Monate überhaupt kein Problem war, kommt jetzt mit Wucht, warum auch immer, verspätet. Abends. An den Wochenenden. Ich dachte, ich bin jemand der gut mit sich selbst auskommt und es endlos genießt, wenn niemand da ist, vor allem nach den letzten fünf Jahren im Wohnheim ohne jemals Ruhe zu haben. Stattdessen merke ich, dass ich unendlich viel Gemeinschaft und Dialog brauche.
Gleichzeitig hat meine Wohnungssuche Fahrt aufgenommen, ich war beinahe jede Woche bei 3 – 4 Besichtigungen und gerade als ich mich entschlossen hatte, nach einer WG zu suchen, bot sich mir die perfekte kleine Einzimmerwohnung an, die im besten Teil der Stadt liegt. Und eine Entscheidung musste innerhalb eines Tages getroffen werden.
Wenn ich sage, dass ich schlecht bin in Entscheidungen, antworten mir die meisten "Oh, ich auch!". Aber ernsthaft, meine Unfähigkeit zu einem Entschluss ist extrem, und erzeugt endlos Panik und Verzweiflung. Ich konnte nicht schlafen, ich hatte Angst davor mich falsch zu entscheiden. Ich suchte nach Alternativen, fand aber nichts.
Ich habe meine Kollegen in den Wahnsinn getrieben mit endlosem Abwägen von Vor- und Nachteilen von WGs und Wohnungen. Es hat sich alles aufgewogen, und es gibt zu allem gute und schlechte Beispiele. Manche werden in WGs Freunde fürs Leben, andere finden es so schlimm dass sie lieber Überstunden machen als nach Hause zu kommen. Manche genießen es alleine zu wohnen, anderen fehlt etwas. Letzten Endes konnte mir niemand einen anderen Rat geben als "Das musst du selbst entscheiden".
Das habe ich also, ich musste. Ich hätte gerne noch ein paar Wochen weiter darüber gebrütet. Aber so funktioniert das Leben nicht, und vor allem nicht der Wohnungsmarkt.
Ich werde also ab März eine kleine Einraumwohnung mitten in Grünerløkka mieten, gegenüber einer Designhochschule und direkt am Fluß. Es ist wunderschön, und ich glaube ich kann mich dort wohlfühlen, besonders im Sommer.
Habe ich den Schritt bereut? Schon tausend Mal, das gehört zu meiner Entscheidungsunfähigkeit dazu.
Auf Instagram ist mir ein Zitat aus der ZEIT begegnet:
Ich finde es wunderbar, und versuche, mich öfter daran zu erinnern. Weder geht die Welt unter, wenn ich mich falsch entschieden habe, noch kann ich es nicht irgendwann (nach einem Jahr Mindestmietdauer …) rückgängig machen. Warum diese Angst vor einem Fehler. Die Angst, etwas zu verpassen. Ich probiere es jetzt einfach aus.
Trotzdem ist die ganze Wohnungssache immer noch furchteinflößend. Eine große Menge Kaution muss auf ein bestimmtes Konto überwiesen werden. Für diesen Vertrag brauche ich eine Bank-ID, für diese ID ein norwegisches Konto, und das dauert Ewigkeiten und hängt mit meinem deutschen Reisepass zusammen, den ich auch erst in frühestens einer Woche erhalten werde. Jede Kleinigkeit ist so unglaublich kompliziert hier in Norwegen!
Außerdem brauche ich unendlich viel, in der Wohnung ist bis auf eine Küche nichts. Besteck, Möbel, ... Bis ich meine eigenen Habseligkeiten habe muss ich mir eine Luftmatratze von meiner Kollegin borgen. Dann muss ich mich um ein Stromabo kümmern. Es gibt unterschiedlichste Arten Strom zu beziehen, entweder mit Festpreis, oder mit Momentpreis, oder eine Kombination aus beidem, zusätzlich zahlt man auch noch eine Gebühr um das Stromnetz an sich nutzen zu können … Ich weiß nicht ob es in Deutschland auch so schwierig ist. Wenigstens Internet ist schon da.
Das ist mir alles viel zu erwachsen. Da muss ich jetzt durch. Bald ist (doch hoffentlich) Frühling, ich freue mich auf den nächsten Besuch zu Hause und auf den Moment, wenn die Wohnung wohnlich, zum Zuhause geworden ist. Ich glaube, das dauert noch lange.
Ich bin euch sehr dankbar, wenn ihr weiter im Gebet an mich denkt. Ich würde mir im Moment so sehr weitere Personen wünschen, die in der Nähe wohnen und einfach da sind, auch am Wochenende. Mit denen man unspektakulär Zeit verbringen kann, ohne dass es zu einem Riesenevent werden muss. Und dass meine Wohnung zu einem Zuhause wird.
Zum Schluss noch einige neue Erkenntnisse aus diesem Land:
- Es gibt hier keine Spatzen. Also, wirklich keinen einzigen. Ich sehe Möwen und ein paar Tauben aber das wars.
- Die Norweger habens mit dem Feuer. Jede größere Wohnung muss einen zweiten Ausgang haben (gruselig, immer diese Türen in den hintersten Ecken die nie jemand aufmacht und in enge, unbenutzte Treppenhäuser führen), und in jeder Wohnung muss ein Feuerlöscher stehen. Wie ich den in meinem sowieso schon winzigen neuen Heim unterbringe muss ich mir noch überlegen.
- Es gibt keine Bäume an den Straßen. Schade! In Berlin pflegte ich eine intensive Freundschaft mit dem Baum vor meinem Fenster und ging mit ihm durch alle Jahreszeiten. Hier gibt es zwar Parks, aber die Straßen sind ausschließlich zur Fortbewegung gedacht und werden nicht begrünt.
- Wer einen großen Cappuccino/Latte Macchiato/sowas bestellt, bekommt mehr Kaffee, und nicht mehr Milch in die Tasse. Muss man wissen, wenn man sensibel für Koffein ist.
- Briefe werden hier von A4 nicht gedrittelt, sondern halbiert. Es kommt mir extrem unhandlich vor, diese Oschis aus dem Briefkasten zu ziehen, auch wenn es sich tatsächlich um die selbe Menge Papier handelt.
- Norweger machen beim Sprechen ein Geräusch, über das sich die meisten überhaupt nicht bewusst sind. Als ich das beim Mittagessen zur Sprache brachte, brachte ich meine Kollegin vollständig aus der Fassung. Sie macht das auch, glaubte mir aber kein Wort. Es handelt sich um ein einatmendes "Ja", das vor allem mittelalte Frauen benutzen und mir auch in Deutschland schon begegnet ist. Hier ist es aber extrem gebräuchlich und sehr typisch. In die gleiche Kategorie gehören bestätigende Laute, die als zuhörender Gesprächspartner ununterbrochen von sich gegeben werden um zu zeigen dass man aufmerksam bei der Sache ist. Das habe ich mir auch schon angewöhnt.