Sonntag, 10. September 2017

Ein kleines Fußballmärchen

Ich habe mir ja vieles im Vorhinein über die Norweger angelesen, aber dass sie so fußballbesessen sind sagte man mir nicht.
Zu ihrem Leidwesen sind die eigenen Vereine international eher nicht ernstzunehmen, weshalb sich jeder Norweger auch einem englischen Club verschreibt. Die Anfahrt zum Heimspiel ist etwas weiter, wird aber trotzdem ab und zu in Kauf genommen.
Es wird aber nicht nur gerne zugesehen, sondern auch gespielt, und das haben wir gestern gemacht.

Am Freitag wurde ich im Büro gefragt, ob ich aufgeregt sei. Wieso, es ist doch nur ein kleines Fußballturnier?
Mitnichten. Fußball ist eine ernste Sache und dieses Turnier zwischen verschiedensten Haugesunder Unternehmen war knallhart. Derart ausgeprägt ist der Siegeswille, dass die meisten Teams zusätzlich zu den einfachen Angestellten noch externe Fußballspieler anheuern, teilweise Ex-Profis. Wir hatten das nicht nötig, waren damit aber auch so ziemlich die Ausnahme.

Als ich mir morgens die neuen Klamotten anzog, die Iversen Skogen für diese Gelegenheit extra bestellt hatte, war mir auch nicht mehr nach Spielen zumute, sondern nach Kämpfen. Das schicke gelbe Trikot mit der Rückennummer 23, die schneeweiße Hose und Socken, die derart strahlten dass sogar meine in diesem Jahr von Sonne reichlich verschonten Knie gebräunt aussahen. Mit so einem Outfit kann man nur gewinnen.




Mit meinem Chef stand ich zunächst vor der falschen Halle, aber zum Glück ist Haugesund nicht so groß dass man nicht in 15 Minuten an das andere Ende der Stadt fahren könnte. Pünktlich betraten wir die Kampfstätte, unter deren Dach sich das Testosteron schon staute. 15 Teams, zu 95% Männer (man will ja gewinnen!). Nervöses Gedribbel zum warmmachen. Abcheckende Blicke durch die Halle um die gegnerischen Jungs einzuschätzen. Taktikbesprechungen. Schienbeinschützer, die unter die Stutzen geschoben werden. Der Sprint zum Auto um die vergessenen Schuhe zu holen (unser Torwart). Draußen fängt es an zu nieseln.



"Sind das die neuesten Fußballschuhe in Deutschland?" Mein Chef hat gleich drei Paar Fußballschuhe mitgenommen weil er sich über die Beschaffenheit des Kunstrasens nicht so sicher war. Als ich gepackt habe, habe ich nicht damit gerechnet bei einem Fußballturnier mitzumachen! Außerdem besitze ich sowieso keine Schuhe mit Stollen. Es wird auch so gehen.

Kurz vor unserem ersten Spiel wird die Strategie und Aufstellung erklärt, die mein (anderer) Chef sich überlegt hat und von einem zerknitterten Zettel abliest. Auch unser Torwart hat es geschafft. Und dann geht es los, das erste Spiel in der Halle. 5 dürfen spielen, 6 stehen am Rand, es wird so oft gewechselt dass jeder mindestens einmal auf dem Feld steht. Es macht wahnsinnig Spaß! Meine Kollegen sind wirklich gut, immerhin treffen sie sich auch jeden Sonntag um 8 Uhr morgens zum kicken. Ich freue mich, dabei sein zu dürfen, auch wenn ich sicherlich kein tragender Teil der Mannschaft bin. Es fallen einige Tore, am Ende verlieren wir.
"Es hat sich niemand verletzt!", bemerkt mein Chef. Und wir haben noch zwei weitere Spiele in der Gruppenphase.


Und die werden gewonnen. Wer am Rand als Wechselbank steht unterstützt durch Applaus, Zurufe, Tipps. Wer spielt, gibt alles. Ich habe nicht mehr Angst, etwas falsch zu machen, sondern genieße es total Teil dieser Mannschaft zu sein. Wir Frauen sind zu dritt, werden sehr ermutigt und genauso oft eingewechselt wie alle anderen auch. Zu einem Zeitpunkt spielen wir alle gleichzeitig auf dem Feld, und die Männerriege am Rand ist erstaunt, wie gut das funktioniert. Nach diesen 3 Spielen hätte das Turnier zu Ende sein können, aber wir stehen im Achtelfinale!

Die nächsten zwei Spiele bestreiten wir draußen, und es regnet nicht mehr, sondern schüttet. E-kel-haft. Trotzdem stehen nicht nur die 5 Spieler im Freien, sondern alle. Da müssen wir zusammen durch, und so weiche ich mal wieder komplett durch und zittere mich durch zweimal 12 Minuten bei 10 Grad und etwas Wind, der auch das letzte bisschen Wärme aus dem Körper zieht.

Wuäks.

Alles hat ein Ende, auch der Konica Minolta Cup in Haugesund mit Iversen Skogen. Im Halbfinale unterliegen wir einer Anwalts-Mannschaft (bis auf einen Spieler bestehend aus lauter gekauften Fußballern). Ich bin ein bisschen erleichtert, endlich warm duschen zu können!

Aber damit war das Erlebnis noch lange nicht vorbei, denn am Abend fand die Preisverleihung statt.
Was man mir sagte: Nach dem Turnier wird es eine Party geben, und beim Italiener wurde ein Tisch reserviert.
Was man mir nicht sagte: der gesamte Italiener war für die Turnierteilnehmer reserviert, und alle erschienen für dieses Event piekfein in mindestens Schlips und Anzug/hochhackigen Schuhen und Kleid. Ups!
Dank meiner Vorliebe für schwarze Kleidung lag ich zufälligerweise nicht komplett daneben, war aber immer noch reichlich underdressed.
Das sind so die kleinen Details, die man als Ausländer nicht mitbekommt wenn sich im Büro unterhalten wird. Aber auch das habe ich überlebt, genauso wie die Muscheln, die ich zum ersten Mal gegessen habe. Da die Getränke auf Iversen Skogen gingen, wurde der Abend immer feuchtfröhlicher und die Gespräche interessanter. Wenn die Norweger mal wieder so langsam aus sich herauskommen ... Dann werden sie redselig und sentimental. Mein Art Director lobte mich in den höchsten Tönen vor meinen Kollegen, das ging natürlich runter wie Öl. Wir stießen auf eine Idee an, die ich am Freitag hatte. Man bot mir wieder einmal an, Snus auszuprobieren, und wieder einmal war mir die Sache zu heikel. Wer nicht daran gewöhnt ist, dem soll sehr schnell schlecht werden/ein Nikotinschock blühen. Wir unterhielten uns über Fußball und die Unterschiede zwischen norwegischen/deutschen/englischen Stadien.

Dann wurden die Sieger geehrt (diese Anwaltskanzlei hatte gewonnen), mit Medaillen und eingerahmten Bild, aber der Pokal blieb noch in der Plastiktüte. Denn der ... wurde danach uns feierlich überreicht! Weil wir die Mannschaft waren, die ausschließlich aus Angestellten bestand und trotzdem 3. wurden. Also bekamen wir alle eine Medaille umgehangen, ein Trikot vom FK Haugesund mit Unterschriften aller Spieler, ebenfalls ein eingerahmtes Bildchen und den Wanderpokal. Mein Chef durfte eine Rede halten und dann feierten wir den Rest des Abends unseren "Sieg".
Für einen kurzen Moment bestand Ratlosigkeit, wer das signierte Trikot bekommen sollte. "Haarald, dein Sohn?" Nee, wollte nicht. Und dann war die Antwort schnell gefunden: "Julia! Als Erinnerung an uns!" Na aber Hallo, mit größtem Vergnügen!!



Als wir den Italiener endlich in Frieden ließen, zogen wir weiter in eine Bar, und als uns auch das reichte, ging es zum "Nachspiel" zurück ins Office.
Das ist so eine andere, typisch norwegische Sache: vor einer Party trifft man sich zum "Vorspiel", also dem ein oder anderen Gläschen Wein um warmzuwerden, was in Deutschland ja auch relativ gängig ist, hinterher aber nochmal zum "Nachspiel", um in gemütlicher Runde den Abend endgültig abzuschließen. Als letzter Rest saßen wir dann also im Büro und sinnierten darüber, wie wir unsere Prozesse verbessern, kreativer und mutiger werden können, und über alles andere im Leben. Ich konnte Fragen stellen, die ich schon lange hatte, wie "Ross, warum lebst du seit 7 Jahren in Norwegen, hast eine norwegische Familie, und sprichst immer noch kein norwegisch?" oder "habt ihr viele Praktikanten?" Zu meinem Erstaunen wurde das verneint, ich bin mehr oder weniger die erste richtige Praktikantin die Iversen Skogen hat. Ich fühle mich geehrt, genauso darüber dass mir beständig gesagt wird, wie stolz und froh man sei, dass ich es aus Berlin ausgerechnet nach Haugesund geschafft habe. Bei allen Selbstzweifeln tut das so unglaublich gut und ich habe mich ein bisschen in das gesamte Kollegium verliebt. Ich fühle mich wohl unter diesen Menschen und gehöre wirklich absolut dazu! Im Gespräch mit einem Kollege und meinem Art Director wollte der Kollege sagen, dass ich als jemand Neues in der Agentur nochmal eine andere Sicht auf Iversen Skogen bringen kann, und der Art Director ließ keine seiner Formulierungen zu "Julia als jemand von außen ... " - "Nein, die gehört jetzt zu uns", "Ja, aber ..." - "Wer drin ist, ist drin!".
Ich nutzte die Gelegenheit gestern Abend dann auch, um mich mal bei den Leuten dafür zu bedanken und ihnen überhaupt erstmal zu erklären, wie besonders und cool das ist, so aufgenommen zu werden. Ich hoffe, das wissen sie heute noch :)

Weil nach 3 kein Bus mehr fährt spazierte ich nach Hause, was auch nicht so weit ist. Natürlich durch strömenden Regen, alles andere wäre diesem Tag nicht gerecht geworden. Mit einem Grinsen ließ ich viele der Situationen und Gespräche Revue passieren. Das war so ein absolut cooler, bestätigender Tag! An den mich zwei ganz besondere Trikots erinnern werden.





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