Dienstag, 14. November 2017

Mellom døra - et gond

Zwischen Tür und Angel sozusagen.

So fühlt es sich gerade an. Vor ein paar Minuten habe ich die meisten Pullover aus dem Koffer aus- und viele T-Shirts hineingepackt. Einen Schrank sehen meine Kleidungsstücke dieser Tage nicht. Ziemlich genau 48 Stunden bin ich in Deutschland, davon verschlafe ich in 3 Nächten ungefähr die Hälfte; viel bleibt nicht übrig. Ich nutze diese wertvollen, abgezählten Stunden um viel zu erzählen, Bauklötze über Deutschland zu staunen, einen Haufen Bürokratie-Kram zu erledigen, zum Zahnarzt zu gehen und zwischendurch Familie, Käsekuchen und guten Kaffee zu genießen. Ein sehr komprimierter Heimaturlaub. Heimaturlaub.zip quasi.

Haugesund konnte ich mit einem richtig guten Gefühl und breiten Lächeln verlassen. Als mein Kollege mich zum Flughafen chauffierte, wurde die raue norwegische Natur von einem grandiosen Sonnenaufgang absolut spektakulär beleuchtet und bleibt mir damit in bester Erinnerung. Der Abschied im Büro am Freitag war sehr rührend. Es ist so schön zu hören und zu fühlen, dass man den Menschen in einer westnorwegischen Kleinstadt in dieser Zeit wichtig geworden ist. Der Höhepunkt war eine Karte, auf der jeder einen kleinen, meistens überraschend liebevollen Abschiedsspruch geschrieben hatte. Jeder einzelne hat mich ein bisschen glücklicher gemacht. Schlussendlich sagte man wörtlich "Auf Wiedersehen!" zu mir, und das hoffe ich wirklich.

Genauso überraschend schön und rund war der Abschied von meiner Gemeinde am Sonntag. Ich hatte einen, wie ich zugeben muss, spektakulären Apfel-Hefekuchen gebacken, der angemessen bewundernd inhaliert wurde. Zu Anfang des Gottesdienstes lief ein Berlin-Clip, ich sollte nach vorne kommen und erzählen wie meine Zeit in Haugesund war, was ich in Zukunft vorhabe und außerdem was das für Sehenswürdigkeiten in diesem Berlin-Clip sind (dafür hätten sie lieber Opa einladen sollen, mir fällt zu Reichstag, Brandenburger Tor und den ganzen anderen wahnsinnig wichtigen Gebäuden nicht so ganz viel ein). Am Schluss haben alle für mich gebetet, was ich als total ermutigend und großes Geschenk empfand. Auch hier konnte ich wieder nur staunen, wie sehr mich diese Menschen in drei Monaten ins Herz geschlossen hatten.

In der Nacht auf Montag konnte ich kaum schlafen, zu sehr sorgte ich mich um meine Koffer; wie schwer sie wohl sein würden, wie ich sie durch die Gegend bewegt bekomme und ob auch sonst alles mit Schlüssel- und Zimmerübergabe (ich hatte eine zwei Seiten lange Liste bekommen auf der genau deklariert wurde, was alles zu säubern sei und kontrolliert würde), dem Weg zum Flughafen etc. klappen würde. Sorgen ist eines meiner großen Talente.
Letztendlich lief es wie am Schnürchen, vom Morgensport um 6.15 Uhr, der Schlüsselübergabe um 8.15 Uhr, der Ankunft meines Kollegen um Punkt 8.30 Uhr. Als ich kurz nach 9 meine zwei Koffer am Self-Check-in erfreulich mit 20,0 und 20,3 Kilos unter die Haube gebracht hatte, fiel mir ein fetter Stein vom Herzen und ich konnte mich in Seelenruhe unter all die anderen Wartenden mischen und es genießen, noch ein bisschen Norwegisch um mich herum zu hören.

Dass ich mich nie bei der norwegischen Polizei registriert hatte, obwohl ich das für einen Aufenthalt der länger als 12 Wochen dauert hätte tun sollen, hat auch niemanden gestört, an den Schleusen am Flughafen schellten keine Alarmanlagen und niemand betrachtete mit sorgenvollem Blick meinen Pass (das könnte mir aber vielleicht Donnerstag bevorstehen ...).
Im Flugzeug von Oslo nach Berlin hörte ich endlich wieder vermehrt Deutsch um mich herum und das war erstmal wirklich schön. Eine Sprache einfach so zu verstehen, ohne Anstrengung und Erraten der fehlenden Vokabeln. Manches Gequatsche war sofort wieder ziemlich dämlich und hätte ich lieber nicht verstanden, aber in diesem Moment konnte mich nichts aus meinem Zustand tiefer Seligkeit reißen. Nach 14 Wochen so kurz davor, die olle Familie wiederzusehen!

Selig hat mich übrigens auch ein adäquates Warensortiment im hiesigen Rossmann gemacht. Als hätte ich 10 Jahre im Dschungel gelebt wandelte ich etwas überfordert, staunend und mit glänzenden Augen durch den hell beleuchteten, gut sortierten, riesigen, vielfältigen und billigen Drogeriemarkt, konnte mich bei jedem Punkt auf meiner Einkaufsliste zwischen den ganzen Produkten überhaupt nicht entscheiden und hätte am liebsten drei Stunden Geruchsproben genommen und Inhaltsstoffe studiert. Am Ende bezahlte ich ungläubig für vier Posten genau drei Euro achtundachtzig. Entschuldigung, Sie haben da eine Null vergessen ... !?
In Norwegen ist es so: Drogeriemärkte gibt es grundsätzlich schonmal nicht. Maximal den Produkten zur Körperpflege gewidmete Abteilungen in den Supermärkten, in denen wenig Auswahl viel Geld kostet. Willst du Handcreme, kaufst du Handcreme. Die Frage ob Mandel-Vanille, Orange-Zimt oder grüner Tee für normale, trockene oder sehr trockene Haut, mit Vitamin B, Dexpanthenol oder 33% gratis ... kommt nicht auf.
Ein ähnliches Erlebnis der "kurze" Sprung in den Edeka um nach Haiti einige rare Güter wie Nutella oder Milka-Schokolade zu importieren. Dreiviertel Stunde (man muss sich ja erstmal alles angucken um eine fundierte Auswahl zu treffen), schwerer, gut gefüllter Rucksack (wenn man schonmal da ist), langer Kassenzettel (ein peinlicher Einkauf, ich hätte der Kassiererin gerne versichert dass das nicht für mich ist) für einen kleinen Betrag. Ein Paradies!

Schokolade, T-Shirts und was man sonst noch so braucht sind im Koffer verstaut, mit zur Abwechslung mal noch viel Platz für Eventualitäten und Reißverschlüssen die ohne weitere Gewaltanwendung zu schließen sind. Gerade horte ich noch ein bisschen Strom indem ich alle Geräte, Akkus und Powerbanks nochmal richtig auflade. Und dann kann es weiter gehen.
Morgen geht es nach Amsterdam und dann Atlanta, wo ich auf dem Flughafen übernachten werde um übermorgen Mittag weiterzufliegen nach Port-au-Prince. Dort hoffe ich reingelassen zu werden, denn ich habe heute erfahren dass man zur Einreise in Haiti Dokumente braucht, die noch mindestens 6 Monate gültig sind; mein Reisepass gilt noch genau 5 Monate. Das kann ich jetzt nicht mehr ändern und hoffe dass die jeweiligen Beamten nicht so viel Lust haben zu rechnen.

Ich bin gespannt auf die nächsten Wochen, das Wetter, neue und alte Leute, wie sich Edith und Lukensons Haus und die Schule verändert haben. Höchstwahrscheinlich habe ich sehr schlechtes bis wirklich richtig schlechtes Internet und werde nicht viel von mir hören lassen können. Nach den letzten 40h-Arbeitswochen wird es eine krasse Veränderung sein, wieder etwas entschleunigter zu leben (und in noch simpleren Umständen als in Norwegen). Ich hoffe mich nützlich machen zu können, außerdem habe ich einen Bericht über das Praktikum zu schreiben. Mit Gruseln denke ich daran, meine ganzen Kisten, Koffer, Tüten und was sich so angesammelt hat Ende Dezember noch schnell vor Weihnachten wieder in meinem Zimmer zu verteilen. Ich freue mich ein bisschen auf den Moment, wenn alles wieder normal ist, in Berlin. Aber bis dahin ... macht es gut, falls wir uns nicht mehr hören. Ich versuche, meinen Kopf mal so langsam auf Französisch umzupolen.

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