Donnerstag, 25. September 2014

Alpine Abenteuer - Tag 1

Es fing alles an einem Küchentisch an, kurz bevor ich losmusste, aber nicht so kurz als dass man nicht noch ein bisschen hätte plaudern können. Warum auch immer, aber man kam auf das Reisen, und ständig fiel der Satzteil "man müsste echt mal...". Wir träumten von Roadtrips, einer Tour per Anhalter, Wanderurlauben. Osteuropa, Finnland, Norwegen, dem Süden...
Diese "Spinnereien" wurden im Laufe der folgenden Wochen und Monate zu einem handfesten Plan. Aus Norwegen wurde über Kroatien Südtirol. Aus dem Roadtrip eine Wandertour. Aus "man könnte mal" wurde "wir machen".
Und so können mein Cousin Timon, mein Bruder Max und ich jetzt mit Stolz auf ein echtes Abenteuer zurückblicken. In 5 Tagen sind wir 60 Kilometer auf der Hufeisentour in den Sarntaler Alpen gewandert, haben dabei jeweils 12-15 Kilo schwere Rucksäcke mit uns getragen, hauptsächlich im Freien übernachtet und Wind und Wetter getrotzt, die es wirklich nicht gut mit uns meinten. Es war eine Herausforderung, und oft hatten wir das Gefühl, an unsere Grenzen zu stoßen. Und das ist für mich die vielleicht größte Erkenntnis: auch bei Kälte, Nässe, Erschöpfung, dickstem Nebel, schmalen Steigen und schwindelerregend tiefen Abgründen geht es weiter. Wenn man wieder vor einem scheinbar unüberwindlichen Wegstückchen steht, mit Gottes Hilfe und Bewahrung kann ich es gehen und hinterher sogar darüber lachen, wie die Definition von "Wanderweg" immer weiter abbaut.
Es war teilweise wirklich gefährlich und wir sind dankbar dafür, dass viele Menschen an uns gedacht und für uns gebetet haben. Und dass unsere Eltern erst jetzt sehen, wo wir langgeklettert sind :) (oder auch gar nicht, weil man in entsprechender Situation nicht unbedingt ans Fotografieren denkt)

Tag 1: 11,3km, 1600m hoch, 410m hinunter


Nach 15-stündiger Reise am Vortag mit Bus und Bahn nach Südtirol standen mein Cousin Timon, mein Bruder Max und ich also vorletzten Dienstag vor dem Berg, den wir an diesem Tag erklimmen wollten. Das Wetter war herrlich und auch die ganze letzte Woche so gewesen, wir waren gut gelaunt, beinahe ausgeschlafen und verdrängten das Gefühl kommender Schmerzen, das die eben erst aufgesetzten Rucksäcke schon verursachten. Nach wochen- und monatelangem Planen waren wir ziemlich sicher, alles eingepackt zu haben und gerüstet zu sein für das Outdoor-Erlebnis.

Mit roher Gewalt gingen die vollgestopften Rucksäcke auch zu

1500 Höhenmeter standen an diesem Tag auf dem Programm und voller Tatendrang packten wir es an. Dabei lief uns der Schweiß schon nach wenigen Minuten in Strömen über das Gesicht. Ich mag das, wenn man spürt, dass man richtig was tut und sich anstrengt. Auf den Schweiß folgte bald der Geruch, der uns die nächsten Tage kaum noch von der Seite weichen sollte. Zum Glück trifft man in dieser einsamen Bergwelt kaum mal einen Menschen!

Zunächst ging es noch durch grüne Wälder
Schließlich wurde es steiniger
Bis wir über echte Geröllfelder kletterten
Wie auf dem Wegweiser prophezeit, dauerte es tatsächlich gute 4 Stunden, bis wir oben waren. Was für ein Gefühl, am Morgen noch vor diesem riesigen Massiv zu stehen und am Nachmittag von oben herunter zu schauen! Wobei wir beim Herunterschauen nicht so sehr viel sahen, es herrschte dicker Nebel, nachdem wir auf dem Weg schon von einem Regen- und einem Hagelschauer überrascht wurden.

Die Nebelwand kam schnell und gründlich
Die letzten Meter zum Gipfelkreuz
Oben angelangt zu sein, reichte uns nicht. Wir wanderten noch zwei Stunden weiter, ehe wir uns neben einer kleinen Kapelle, die gerade umgebaut wurde, unseren ersten Schlafplatz im Freien suchten.

Hinter dieser Kapelle lagerten wir
Es fühlte sich komisch an, einfach eine Plane mitten auf dem Berg aufzubauen und nun darunter schlafen zu wollen. Außerdem fing es an zu regnen, und wie schon seit einiger Zeit war von fern Donnergrollen zu hören. Unheimlich! Trotzdem waren wir, als wir endlich fertig organisiert und nicht gesättigt, aber auch nicht mehr hungrig, in unseren Schlafsäcken eingemummelt da lagen, richtig guter Dinge. Wenn wir gewusst hätten...!
Als es dunkel war, fing es richtig an zu regnen. Und wurde immer schlimmer. Es prasselte auf unsere Plane, dass an Schlaf überhaupt nicht zu denken war. Der Wind pfiff durch unsere Konstruktion hindurch, sodass alles was nicht in den Schlafsack passte erbärmlich fror. Blitze zuckten über den Himmel, und auch wenn das Gewitter weit weg zu sein schien, bereitete mir das am meisten Sorge. Was machen wir, wenn das Gewitter näher kommt? Wir haben keinen Ort, wo wir hingehen können, auch die Kapelle besitzt keinen Blitzableiter. Ich wünschte mir nur sehnlichst den nächsten Morgen herbei, dabei war es nicht mal 22 Uhr und das Schlimmste kam erst noch.
So richtig lustig wurde es einige Zeit später, als wir langsam mitbekamen, dass die Rettungsdecken, auf denen unsere Isomatten lagen, komplett nass waren. Da wir am Hang lagen, blieb es nicht dabei - regelrechte Bäche floßen über die Rettungsdecken, unter unseren Isomatten auf unsere am Fußende gelagerten Rucksäcke. Probeweises Testfühlen bestätigte schlimmste Befürchtungen: es war einfach alles komplett durchgeweicht. Wechselklamotten, Portemonnaie und Handy, ALLES! Der Stolz über den erklommenen Berg und die Abenteuerlust waren komplett verraucht und die Laune am Tiefpunkt. Hätte ich nichts anderes zu tun gehabt und Strichliste über die im Laufe der Nacht laut oder leise von sich gegebenen "Scheiße!" geführt, ich wäre sicherlich auf erstaunliche Ergebnisse gekommen.
Es schlief niemand von uns, jeder versuchte, so viel zu retten wie möglich war oder sich einfach überhaupt nicht mehr zu bewegen, damit wenigstens das Stückchen Isomatte unter dem Rücken das noch trocken war auch trocken blieb. Timon gab das Liegen irgendwann ganz auf und saß nur noch. Ich musste dringend aufs Klo und fand keinen Moment, in dem es mal nicht so stark regnete und ich hätte rausgehen können. Man hatte schlimme Krämpfe in den Beinen, weil man so stocksteif da lag und die Position kaum verändern durfte. Ich hatte Angst um meine Kamera und legte sie auf die Isomatte, sodass ich selbst zum Teil im Wasser lag.
Es war noch nicht genug. Das dröhnende Geräusch eines über dem Tal kreisenden, suchenden Hubschraubers war Anlass zur nächsten Panikattacke: wir waren am Abend noch schnell hinunter auf eine Alm gewandert und hatten unser Trinkwasser aufgefüllt. Die dortige Wirtin hatte uns besorgt gefragt, ob wir uns denn verlaufen hätten. Wir sagten "Ne!" und gingen wieder zurück auf den Berg. Wir malten uns erschreckt aus wie die Wirtin die Bergwacht anruft weil sie drei unerfahrene Jugendliche bei Gewitter in eine Richtung hat gehen sehen, in der lange Zeit nichts mehr kommen würde. Suchen die uns? Gibt es gleich mächtig Ärger?
Es dauerte lange, bis der Hubschrauber abdrehte und wir uns beruhigen konnten. Hätten sie wirklich uns gesucht, hätten sie uns schon lange gefunden. Und so lagen wir wieder da, in der Dunkelheit, der Regen tropfte auf die Plane, alles was wir anfassten war feucht und das war gerade erst der Anfang unserer Tour. Ich glaube wir alle waren uns insgeheim in diesem Moment sicher, dass es so definitiv nicht weitergehen würde und wir am nächsten Tag absteigen ins Tal. Es würde zwar schmachvoll sein, aber noch so eine Nacht hält keiner von uns aus.
Dabei hat die verzweifelte Frage "Timon, wie spät ist es??" immer noch gerademal ein "halb zwei!" ergeben. Wir versuchten, doch zu schlafen. Nickten kurz ein. Bis der Wind kam.
Es war unglaublich laut, er peitschte gegen unsere Plane. Es knatterte und krachte - bis wir irgendwann plötzlich im Freien lagen. Die Plane lag vor unseren Füßen und wir im Regen! Wir versuchten, unsere Konstruktion wieder aufzubauen, begleitet von vielen weiteren "Scheiße!", die Ausdruck unserer abgrundtiefen Verzweiflung waren.
Dann stand wieder alles, wir stiegen umständlich in unsere Schlafsäcke ein und hofften. Dass der Wind aufhören würde, der Regen, wir schlafen könnten, endlich Morgen sein würde, das durch die Nässe nichts kaputt gegangen war...
Der Wind nahm nicht ab, aber die Jungs dachten sich eine neue, robustere Variante unseres Zelts aus und bauten es um 4 Uhr nachts noch einmal um. Barfuß, im Regen. Und es war so kalt! 
Wir dachten nur daran, so schnell wie möglich von dem Berg herunterzukommen, alles zu trocknen und sauberzumachen, uns satt zu essen und endlich aufzuwärmen. Was für eine Scheiß-Idee, im Freien auf dem Berg zu schlafen!!!

Unser "Zelt", getestet und für unterirdisch schlecht befunden. © Timon

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