Montag, 14. Juli 2014

Finale, oho!

"Ich glaub es regnet" "Wann wechselt er denn den Loddar ein?" "Schürrle du Lappen!" "Hau ihn um!" "Ich glaub, da hinten wird es heller" "Macht die Scheißschirme zu!!" "NEUARRRR" "Hau ihn um!" "Wer kifft hier?" "Will jemand Chips? Ich hab keinen Bock mehr die zu halten." "Hau ihn um. Jawoll.... hau ihn nochmal um!"  "Des hädd doch n Elfmäda gebn müssn!" "Ey, wenn ich Spieler wäre, ich würde die alle umhauen! - Ach was, ehrlich? Hätte ich nie gedacht."

Auch wenn bei der Fanmeile von Public Viewing die Rede ist, geht da doch niemand hin, um das Fußballspiel zu sehen. Wer diese Ambition hat, den wird die Realität schnell einholen, denn unter 600 000 Mitsehrn gibt es immer mindestens zwei die größer sind als du und vor dir stehen. Vom ganzen Spektakel auf der Riesenleinwand können so meistens maximal zwei grüne Ecken bestaunt werden können. Hauptsache HD.

Als zwei Mitbewohner und ich uns am Sonntag um kurz vor 18 Uhr aufmachten um Geschichte zu schreiben, meinten zwei Drittel wir seien viel zu früh dran, und ein Drittel dass wir schon längst hätten dort sein sollen. Letzteres durfte eine halbe Stunde später den schönen Satz "Ich habs euch ja gleich gesagt!" vortragen, wovon mehrmals Gebrauch gemacht wurde. Als wir am U-Bahnhof Französische Straße ausstiegen, tingelten wir mit einer großen Menge und zunehmender Verzweiflung von einem Eingang zum nächsten. Überall standen die selben grimmig guckenden Polizisten und machten klar: Hier gehts nicht mehr durch. Zu allem Überfluss fing es auch noch an zu regnen.
Irgendwann teilte sich die Menschenmenge. Die einen wandelten weiter auf den ausgeschriebenen Pfaden, die anderen schlugen sich durchs Gebüsch des Tiergartens und versuchten, die Autoritäten so auszutricksen. Wir auch. Aber nach unserem Waldspaziergang erwarteten uns wieder nur Menschenmassen, Zäune und grimmige Polizisten. Einige versuchten, die Absperrung zu durchbrechen, was ihnen auch gelang. Innerhalb von Sekunden waren 20 Menschen hindurchgeschlüpft und fünf bullige Polizisten herangerannt, die die Letzten von ihnen brutal wegrempelten und das Leck wieder dicht machten. Wir braven Bürger gingen weiter an den Zäunen entlang und hofften, dass man uns doch noch irgendwo im Guten hereinlassen würde.
Dann kam die Sackgasse. Menschen über Menschen, alle standen sie vor dem letzten Eingang. Es ging nicht vor und nicht zurück. Viele kehrten um. Wir stellten uns einfach dazu. Vielleicht passiert doch noch etwas? Wir beschlossen, es für eine Viertelstunde zu versuchen. Wenn nicht hier, dann nirgendwo, denn mittlerweile waren sicher alle Public Viewing-Plätze schon belegt.
Also standen wir da. Rechts, links, vorne und hinten Menschen. Unten Boden. Oben Regenschirme. Auch wenn ich eigentlich keine Platzangst habe, das war mir doch ein bisschen zu viel. Aber tapfer ausharren. Nicht zu viel denken. Warten.
Und Stück für Stück ging es tatsächlich vorwärts. Noch wussten wir nicht, ob vorne welche hereingelassen wurden oder ob nur einfach immer mehr aufgaben. Zur Unterstützung versuchten wir, ein bisschen zu demoralisieren, indem wir uns lauthals über die Ausweglosigkeit der Situation ausließen.
Aber wir kamen wirklich vorwärts, und irgendwann waren wir an einer Taschenkontrolle (wo mir wieder eine 25 Cent teure Pfandflasche geklaut wurde) und wurden dann auf die Fanmeile gelassen. Yeah! Plötzlich konnte man auch wieder frei atmen und sich bewegen.
Ein Blick auf die Uhr hat die Euphorie gedämpft. Gerademal 19 Uhr, noch zwei Stunden im Regen stehen und warten. Aber immerhin, wir waren drauf. Wir würden dabei sein, wenn Deutschland endlich wieder Weltmeister wird.

Irgendwann waren wir komplett durchweicht. Direkt hinter der Leinwand zuckte ab und zu ein Blitz (jedes Mal von einem Raunen in der Menge quittiert). Wir arbeiteten uns noch Stück für Stück weiter vor, bis wir ein bisschen Ton hören konnten.
Es war eine Erleichterung, als das Warten dann endlich dem Ende entgegen ging und lauthalts die Nationalhymne gesungen wurde. Und dann hörte es auch auf zu regnen.

Von dem Spiel habe ich wie gesagt kaum etwas mitbekommen. Mit wildesten Verrenkungen habe ich immer wieder versucht sekundenweise folgen zu können, nur mit mäßigem Erfolg. Aber man ist ja für die Stimmung da, und die war gut, spätestens seit der Linienrichter wegen Abseits den frühen Torjubel der Argentinier unterbrochen hatte. Das wurde bejubelt als hätten wir selbst ein Tor geschossen. Den Spielverlauft musste man sich aus den Reaktionen der Umwesenden zusammenreimen.
Irgendwann war mir mächtig kalt, beim Studium von Hinterköpfen erschloss sich mir auch nicht mehr viel Neues und ich wollte nur gerne, dass Deutschland endlich gewinnt und ich nach Hause gehen kann. Aber nein, Verlängerung, zu allem Überfluss..
Aber dann, das Tor. Was für eine grenzenlose Freude! Und wenige Minuten später beim Schlusspfiff wieder!
Dann wurde gefeiert. Mit "We Are The Champions" und ähnlichen Liedern auf der großen Bühne (was uns auf unsere mickrige letzte Leinwand übertragen wurde), Feuerwerk und einem herrlichen Autokorso an der Siegessäule. Die Leute waren so aus dem Häuschen! Netterweise fuhren auch um zwei Uhr noch S-Bahnen, und die wurden wirklich auseinander genommen. Da wurde gehüpft, an die Scheiben geklatscht, gegrölt und brechend voll waren sie auch. Das letzte Stück mussten wir dann laufen, weil die U-Bahnen nicht mehr fuhren und an den Bushaltestellen Menschen über Menschen standen. Im alternativen Kreuzberg ist übrigens beinahe tote Hose gewesen. Nicht überall lässt man sich dazu herab, so eine primitive Weltmeisterschaft zu verfolgen.

Ich war sehr sehr froh, als ich endlich zu Hause war und nicht mehr auf meinen Füßen stehen musste. Ganz schön anstrengend, das Weltmeisterwerden. Aber es war ein echtes Erlebnis auf der größten deutschen Fanmeile. Das muss man einfach mal mitgemacht haben.

2 Kommentare:

  1. So ein geiler Eintrag.
    Danke!
    Das fühlt sich selbst in Amerika und selbst einen Tag später noch aufregend an! :)

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  2. Herrlich, ich wär gern dabei gewesen :-)

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